Komitologie

Das EU-Komitologie-Verfahren  Verordnung (EU) Nr.182/2011

Dem Komitologie-Verfahren kommt bei der Zulassung/Ablehnung von gv-Pflanzen und daraus hergestellten Erzeugnissen im Rahmen des Risikomanagements eine bedeutsame Rolle zu. Deshalb wird hier nochmals speziell auf dieses Verfahren eingegangen.

Das Komitologie-Verfahren hat eine lange Tradition in der Beteiligung des EU-Parlaments und der EU-Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung von Durchführungsrechtsakten der Kommission. Das Verfahren wurde schon immer als intransparent und zu kompliziert kritisiert. Im Vertrag von Lissabon wurde es reformiert (Beschluss des Parlaments
►1999/468/EG , ► 2006/512/EG ). Mit der
► VO (EU) Nr. 182/2011 wurde das Verfahren erneut geändert. Die Verordnung regelt die Verfahrensgrundsätze nach denen die Mitgliedsstaaten die Befugnisse der Kommission bei der Durchführung von Rechtsakten kontrollieren, aber auch bei der Umsetzung von Durchführungsrechtsakten unterstützen. Die Verordnung setzt ►Artikel 291 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) über Durchführungsrechtsakte um. Die Verordnung unterscheidet zwischen den beiden Verfahren der

 

  •  Beratung (Art. 4) und
  •  Überprüfung (Art. 2).

 

Nach Art. 2 Abs. 2 der VO (EU) Nr. 182/2011 muss das Prüfverfahren bei Durchführungsrechtsakten von allgemeiner Tragweite und bei Entscheidungen mit Auswirkungen auf die gemeinsame Agrar- und Fischereipolitik sowie auf die Umwelt, Sicherheit oder den Schutz der Gesundheit oder der Sicherheit von Menschen, Tieren und Pflanzen angewandt werden. Diese Unterpunkte betreffen somit auch die Zulassung/Ablehnung von GVO und daraus hergestellter Erzeugnisse und bedeutet, dass hier stets das Prüfverfahren angewandt werden muss. Die Vorgehensweise im Prüfverfahren ist in Art. 5 geregelt.

Komitologie-Verfahren

Artikel 2, Abs. 2 VO(EU) Nr. 182/2011


Das Prüfverfahren wird insbesondere angewendet zum Erlass von:
 a) Durchführungsrechtsakten von
     allgemeiner Tragweite;
 b) sonstigen Durchführungsrechtsakten in
     Bezug auf:
   i)  Programme mit wesentlichen
       Auswirkungen;
   ii) die gemeinsame Agrarpolitik und die
       gemeinsame Fischereipolitik;
   iii) die Umwelt, Sicherheit oder den  
       Schutz der Gesundheit

oder der Sicherheit von Menschen, Tieren und Pflanzen;
  iv)  die gemeinsame Handelspolitik;
  v)   die Besteuerung.

 

     Amtsblatt der Europäischen Union, L55/14
    vom 28.2.2011

Für das Prüfverfahren unterbreitet die Kommission dem Ausschuss (für GVO: Ständiger Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel - Abteilung Genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel und Umweltrisiko (SCPAF)) einen Vorschlag für die Durchführungsrechtsakte zur Zulassung/Ablehnung des GVO / der Produkte. In der Regel gibt sie auch einen Zeitrahmen vor, bis zu welchem der Ausschuss eine Stellungnahme abgeben soll. Der Ausschuss ist mit Experten aus der Regierungs- bzw. Ministeriumsebene aus den Mitgliedsstaaten besetzt. Den Vorsitz hat die nicht-stimmberechtigte Kommission. Die Modalitäten und Wichtung der Stimmen zum Erreichen einer Mehrheit bzw. einer qualifizierten Mehrheit sind in Art. 15, Abs. 4, 5 des Vertrages über die Europäische Union und nach ►Art 238, Abs. 3 AEUV geregelt.

Qualifizierte Mehrheit gemäß den vor dem Lissabon-Vertrag geltenden Regeln:

  • Qualifizierte Mehrheit = 62 von 87 Stimmen, 88 von 124 Stimmen,232 von 321 Stimmen oder 255 von 345 Stimmen.
Qualifizierte Mehrheit gemäß den nach dem Lissabon-Vertrag geltenden Regeln:
  • Qualifizierte Mehrheit = Stimmen müssen 55% der Mitgliedsstaaten und mindestens 65% der EU-Bevölkerung entsprechen.

Fallunterscheidungen - Ausschuss

Zustimmung:
Gibt der Ausschuss mit qualifizierter Mehrheit seine Zustimmung zu dem Vorschlag, kann die Kommission den Durchführungsrechtsakt erlassen.

Ablehnung:
Die Ablehnung des Kommissionsvorschlages kann prinzipiell auch mit einfacher Mehrheit erfolgen. Die Kommission erlässt den Rechtsakt nicht. Allerdings falls die Kommission den Rechtsakt für notwendig erachtet, kann dessen Entwurf innerhalb von einem (zwei) Monat(en) dem Berufungsausschuss zur Beratung vorgelegt werden.

Keine Stellungnahme:
Keine Stellungnahme bedeutet, dass weder eine qualifizierte Mehrheit für die Annahme noch für die Ablehnung des Kommissionsvorschlages erreicht wurde. In diesem Fall kann die Kommission den Durchführungsrechtsakt erlassen. Allerdings nicht, falls der Rechtsakt unter die in Art 2, Abs. 2 aufgeführten Bestimmungen fällt. In diesen Fällen kann die Kommission den Vorschlag in unveränderter Form oder einen neuen, abgeänderten Vorschlag dem Berufungsausschuss vorlegen. Der Berufungsausschuss berät innerhalb von 6 Wochen über den Vorschlag und muss dann mit einer Frist von 2 Monaten eine Stellungnahme abgegeben.

Berufungsausschuss:
Die Fallunterscheidungen sind hier ähnlich denen im Ausschuss. Allerdings ist hier für eine Zustimmung oder Ablehnung stets eine qualifizierte Mehrheit notwendig. Im Falle einer Zustimmung erlässt die Kommission den Rechtsakt, im Falle einer Ablehnung nicht. Falls der Berufungsausschuss keine Stellungnahme abgibt, kann (muss) die Kommission den Durchführungsrechtsakt erlassen (Art. 6, Abs. 3).

Gentechnik-spezifisch:
Wie bereits in ► Verfahren ausgeführt, benötigen GVO und daraus hergestellte Erzeugnisse für das Inverkehrbringen eine Zulassungsgenehmigung (Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG; Verordnung (EG) Nr. 1829/2003). Die Zulassungsverfahren sehen eine wissenschaftliche Risikobewertung durch die EFSA und ein Risikomanagement durch die Kommission unter Beteiligung der Mitgliedsstaaten vor. Die Mitgliedsstaaten sind hierbei auf den Ebenen der Ausschüsse und dem Berufungsausschuss bei der Beratung und Abstimmung über Durchführungsrechstakte involviert. Bei den Abstimmungen wird in der Regel keine Zustimmung oder Ablehnung des Kommissionsvorschlages mit qualifizierter Mehrheit erreicht und nach Art. 6, Abs. 3 kann die Kommission ihren Vorschlag in die Rechtsform umsetzen. Dieses „kann“ bedeutet aber im Falle von GVO und daraus hergestellter Erzeugnisse aufgrund der Gesetzeslage ein „muss“. Die Kommission darf nicht ihre Entscheidung aufschieben, denn der Antragsteller hat bei einer positiven Risikobewertung – keine Sicherheitsbedenken für Mensch und Umwelt - ein Recht auf die Zulassung des Inverkehrbringens. Seit Inkrafttreten der VO (EG) Nr. 1829/2003 konnten sich die Mitgliedsstaaten nie auf eine Entscheidung für oder gegen den Kommissionsvorschlag mit qualifizierter Mehrheit einigen.

Abstimmungen im Rat und und im Berufungsausschuss über die Zulassung von Erzeugnissen aus gv-Pflanzen und von für den Anbau bestimmte GVO seit in Krafttreten der VO (EG) Nr. 1829/2003 (Ausschnitt)
Komitologie-Verfahren  Abstimmumngsverhalten
    *  Erneuerung der Zulassung von Ölraps GT73 zum Inverkehrbringen
** Erneuerung der Zulassung von Mais MON 810 für den kommerziellen Anbau
1   Umstellung der Wichtung der Stimmen zum Erreichen der qualifizierten Mehrheit
Ausschnitt aus ► Anhang der Mitteilungen der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über die Überprüfung des Entscheidungsprozesses in Bezug auf genetisch veränderte Organismen (GVO)

Mit der Nicht-Abgabe einer Stellungnahme entziehen sich die Mitgliedsstaaten einer Entscheidung und schieben der Kommission die politische Verantwortung für die Zulassung von GVO und daraus hergestellter Erzeugnisse zu. Die Kommission gerät somit ständig in die Situation, ohne die Unterstützung der Mitgliedsstaaten eine Entscheidung zur Zulassung treffen zu müssen. Zu dieser Lage schrieb die Kommission, dass die Rückverweisung der endgültigen Beschlussfassung eigentlich eine absolute Ausnahme im Komitologie-Verfahren sei, aber bei der Entscheidungsfindung im Bereich von GVO die Norm wäre. Und weiter „ Die von den Mitgliedsstaaten gegen solche Zulassungen angeführten Einwände haben jedoch keine wissenschaftliche Grundlage, sondern spiegeln nationale Bedenken wider, die nicht nur mit Problemen in Bezug auf die Sicherheit von GVO für die Gesundheit oder die Umwelt zu tun haben.“

Zur Lösung des Problems einigten sich die Mitgliedsstaaten mit der Kommission in der Verabschiedung der opt-out-Richtlinie (EU) 2015/412, die ihnen den Erlass von nationalen Anbauverboten ohne wissenschaftliche Begründungen erlaubt. Die erste „Nagelprobe“ 2017 für die Möglichkeit der Anwendung der opt-out-Richtlinie im Zulassungsverfahren zum Anbau von Mais MON 810, Bt-11 und 1507 wurde nicht genutzt. Wieder konnten sich die Mitgliedsstaaten im Ausschuss weder auf eine Zustimmung noch eine Ablehnung einigen.

Vor diesem Hintergrund hat nun am 14.02.2017 die Kommission einen
►Vorschlag zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 vorgelegt (COM(2017)85 final). Weitere Ausführungen hierzu unter ► Reform des Komitologieverfahrens.

 
Referenzen
►VO (EU) Nr. 182/2011: Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur

Festlegung derallgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren. ABl L 55, 13-18 vom 28.02.2011

►Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 182/2011

COM (2016) 92 final

►VO (EC) Nr. 1829/2003: Verordnung (EG) Nr.1829/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2003 über

 genetischveränderte Lebensmittel und Futtermittel. ABl. L 268, 1-23 vom 18. 10. 2003

►RL 2001/18/EG: Richtlinie 2001/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.März 2001über die absichtliche

Freisetzung genetischveränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der Richtlinie 90/220/EWG des Rates. ABl. L 106, 1-38 vom 17.4.2001

►RL 2015/412/EU: Richtlinie (EU) 2015/412 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2015 zur Änderung der

Richtlinie 2001/18 /EGzu der den Mitgliedstaaten eingeräumten Möglichkeit, den Anbau von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) in ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken oder zu untersagen. ABl. L 68, 1-8 vom 13. 3. 2015

►COM(2017) 85 final: Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU)

Nr.182/2011 zurFestlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren

►COM(2015) 176 final: Mitteilungen der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den europäischen Wirtschafts- und

Sozialausschuss undden Ausschuss der Regionen über die Überprüfung des Entscheidungsprozesses in Bezug auf genetisch veränderte Organismen (GVO)

►Anhang: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den europäischen Wirtschafts- und Sozialausschus und

den Ausschuss der Regionen über die Überprüfung des Entscheidungsprozesses in Bezug auf genetisch veränderte

Organismen (GVO)

►Beschluss des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen

Durchführungsbefugnisse. ABl L 184, 23-26 vom17-7.1999

►Beschluss des Rates vom 17. Juli 2006 zur Änderung des Beschlu sses 1999/468/EG zur Festlegung der Modalitäten für die

Ausübung der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse. ABl L 200, 11-13 vom 22.07.2006

 



 
10.03.2017 bgf-Jany

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