Gensoja - Greenpeace

Gentechnisch veränderte Sojabohnen und Greenpeace

Bis 1996 wurden Kompagnien gegen Gentechnik in der Landwirtschaft und bei Lebensmitteln vornehmlich vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), Verbraucherverbänden (Verbraucher Initiative und den Verbraucherzentralen Hamburg sowie Nordrhein-Westfalen) und Bürgerinitiativen durchgeführt. Ab 01.Mai 1996 beteiligt sich nun auch die Umweltorganisation Greenpeace e.V.* am Kampf gegen die Gentechnik - entsprechend ihrer erprobten Methoden „aufdecken, konfrontieren, politisch unter Druck setzen“.

Die Voraussetzungen waren gut:

Die gv-Sojabohnen werden nach Europa und Deutschland kommen und eine Skandalisierung (keine Kennzeichnung, keine Trennung der Bohnen, Gefahren für Gesundheit und Umwelt) kann einfach bewerkstelligt werden.

Erfahrungen aus den Aktionen des BUND und aus Feldbesetzungen in den Jahren 1990-1995 können genutzt und Zusammenarbeiten mit anderen Protestgruppen abgesichert werden.

Nach der „Brent Spar“ Affäre können durch Proteste gegen die Gentechnik nur neue Sympathien gewonnen werden.

Neue Mitglieder/Förderer würden das Spendenaufkommen erhöhen.

Die beiden letzteren Punkte bestätigte 2004 auch Greenpeace selbst. Geschäftsführerin Behrens: „Die Zahl der Förderer sei um 12 700 gestiegen. Erfolgreich seien die Umweltschützer vor allem beim Kampf gegen die Gentechnik gewesen und Tausende Aktivisten hätten so viel Druck gemacht, dass die Konzerne ihre Gentechnik-Träume aufgeben mussten.“

Zusätzlich konnte sich Greenpeace einer engen Kooperation mit dem BUND sicher sein. BUND-Statement vom 04.09.19996: „Ziel unserer Killer-Tomaten-Aktion wird es deshalb verstärkt sein, politischen Druck auf die Großabnehmer, d.h. Unilever (z.B. Rama), Nestlè (z.B. Nesquick) und Danone auszuüben, so dass diese keine Produkte (d.h. Soja-Schrot und Soja-Öl) aus gentechnisch manipulierten Sojabohnen verwenden. Um unseren weiteren Aktionen gegen Gen-Soja noch mehr Druck zu verleihen, werden wir u.a. auch eng mit Greenpeace zusammen arbeiten.“

„Der BUND hat sich deshalb entschlossen, zusammen mit Greenpeace die Aktion „Soja - So, Nein!“ zu starten. Soja und Sojaprodukte sind in Tausenden von Lebensmitteln enthalten. Dazu gehören Margarine und Gebäck, Öle, Süß- und selbst Fleischwaren. Damit wird die Einführung von Soja zu einer zentralen Frage im Zusammenhang mit dem Einsatz der Gentechnik im Lebensmittelbereich.“ (10.09.1996)

                                                                          Die Pressemeldungen aus dem Jahre 1996 liegen als Papierform bei bgf-Jany vor.

Mit Greenpeace wird der Protest gegen die Gentechnik professioneller, aggressiver und emotionaler. In Einzelfällen nimmt er militante Züge an.

Der Start 1996:

Bevor Greenpeace an die Öffentlichkeit ging, gab die Organisation erst eine Umfrage zur Einstellung von Verbrauchern gegenüber der Gentechnik bei Emnid in Auftrag. Das Ergebnis: Nahezu 75% der Befragten sind besorgt und lehnen die Gentechnik in Lebensmitteln ab. Ein ähnlich hoher Anteil der Befragten würde auf Lebensmittel von Herstellern, die gentechnisch veränderte Produkte herstellen oder vertreiben, verzichten oder diese Produkte meiden. Gestärkt durch das Ergebnis startet Greenpeace im Oktober 1996 seine Kampagne gegen die Gentechnik, gegen Gen-Soja. Ein Infomobil, das über die Gefahren von Gen-Soja für Umwelt und Mensch informiert, wird auf eine Tour durch 40 Städte geschickt. Gleichzeitig fordert Greenpeace im Namen der besorgten Verbraucher von namhaften Lebensmittelherstellern (Unilever, Nestlé, Danone, Kraft Jacobs Suchard) Verzichtserklärungen zum Einsatz von Gen-Soja. Die Unternehmen sollen die berechtigten Wünsche und Sorgen der Verbraucher respektieren. Durch eine Verzichtserklärung könnten Imageschäden für die Unternehmen abgewehrt werden. Der Forderung wird Nachdruck verleihen, indem Greenpeace am 10.10.1996 vor der Unilever-Zentrale in Hamburg als Kaninchen verkleidete Aktivisten mit Schildern „Kein Gen-Soja in unsere Lebensmittel!“ demonstrieren lässt. Wenige Tage später lässt Greenpeace ein ca. 100 qm großes Banner mit der Aufschrift „Wollen Sie Ihre Lebensmittel genmanipuliert?“ mit dem Bild ihres Paradeproduktes „Rama“ am Unilever-Hochhaus entrollen. Alle Aktionen wurden medienwirksam begleitet. Das Kommunikationskonzept von Greenpeace war erfolgreich. Die Aktionen zeigten schnell Wirkungen und Firmen gaben nach. Greenpeace konnte am 25.10. verkünden:
"Nach Verzicht von Nestlé und Unilever – Greenpeace-Kampagne verändert Soja-Weltmarkt".
Nachdem der Nahrungsmittelkonzern Unilever Deutschland gestern infolge der Greenpeace-Proteste bekannt gegeben hat, keine gentechnisch manipulierte Soja in seinen Pflanzenölen und Margarinen zu verwenden, hat heute Nestlé Deutschland nachgezogen Die Konzernleitung teilte Greenpeace heute mit, dass bei Nestlé keine gentechnisch modifizierten Sojaprodukte zum Einsatz kommen In Deutschland sind Nestlé und Unilever mit je sieben Milliarden Mark Umsatz mit Abstand die größten im Lebensmittelsektor Soja ist Bestandteil von knapp 30 000 Lebensmitteln."


Der BUND zog gleich nach und meldete, dass Unilever und Nestlé: „Keine Produkte aus Gentech-Soja einsetzen und sich für eine getrennte Vermarktung von Produkten aus gentechnisch veränderten und konventionellen Soja einsetzen werden.“ und fügte in einer weiteren Pressemeldung ein: „Wer gentechnisch verändertes Soja ins Essen mischt, macht die Menschen zu Versuchskaninchen für eine unkalkulierbare Technologie. Die Verbraucher haben keinen Nutzen von den Produkten aus Frankensteins Küche, aber sie sollen das Risiko tragen.“

Eine echte win-win Situation war geschaffen. Greenpeace demonstriert seine Durchsetzungskraft; Firmen werden für ihre Weitsicht gelobt und Greenpeace weist direkt daraufhin, dass die Unternehmen Verbraucherwünsche respektieren.

Die so schnelle und ohne Widerrede erfolgte Verzichterklärung durch die Großen der Lebensmittelhersteller verunsicherte die Lebensmittelwirtschaft. Weitere Unternehmen verzichteten von sich aus auf Produkte (Mehl, Lecithin) aus gv-Sojabohnen. Es war ein Auftakt für Rezepturänderungen zum Ausschluss von „Gen-Soja“.

Noch bevor gv-Sojabohnen nach Deutschland gelangen, wird eine Pressemeldung lanciert: Auszug: Hamburg, 05.11.1996: Presseerklärung Greenpeace, BUND, AgV und neuform: Ölmühle Hamburg bleibt uneinsichtig.
"Die Ölmühle Hamburg will jedoch bisher nicht auf den Einsatz der Gentech-Soja verzichten. Die Ölmühle Hamburg macht sich den eigenen Markt kaputt", sagt Jörg Naumann, Greenpeace-Soja- Experte, „Lebensmittelhersteller- und Produzenten, die auf gentechnikfreier Ware bestehen, werden sich woanders umsehen."

Das Prinzipien „unter Druck setzen“, „verunsichern“ und „Kunden und Verbraucher vom Kauf abhalten“ wurden genutzt. Diese Prinzipien wurden später für die Erstellung des Einkaufsberaters „Essen ohne Gentechnik“ verstärkt angewandt.

Am 06.11.1996 wurden erstmals gv-Sojabohnen mit dem Frachtschiff „Ideal Progress“ im Hamburger Hafen angelandet. Greenpeace „greift“ mit Schlauchbooten das Schiff an. An die Bordwand wird die Forderung „Kein Gen-Soja in unsere Lebensmittel!“ projiziert.

Die Pressemeldungen aus dem Jahre 1996 liegen als Papierform bei bgf-Jany vor.
  Kriterien der Greenpeace-Kommunikation
  • Greenpeace deckt einen Skandal auf und die Medien berichten darüber.
  • Eine öffentliche Debatte ist ausgelöst.
  • Gesellschaftliche Gruppen unterstützen Greenpeace öffentlich.
  • Der Gegner gerät unter Druck und gibt nach.
  • Die Menschen nehmen Greenpeace als eine durchsetzungsfähige, internationale Umweltorganisation wahr.
  • Das wichtigste Kommunikationsmedium von Greenpeace sind emotionale Bilder.
  Auch Lobbyarbeit hinter den Kulissen trägt entscheidend zum 
  Erfolg von Kampagnen bei. In langwierigen und zähen
  Verhandlungen versuchen Greenpeace-Experten, parallel zu
  Protestaktionen, Konzernbosse sowie die politischen
  Entscheidungen von Regierungen oder Behörden zu
  beeinflussen.
  Hamdan F.: Greenpeace 2004 (Krisennavigator 7, 2004 ; ISSN
  1619-2389)

                                         Bild: © ullstein-bild-Christof Stache
Greenpeace-Aktivisten vor der Unilever Zentrale in Hamburg. Sitz der Union Deutsche Lebensmittelwerke GmbH (UL), eine Tochtergesellschaft von Unilever. Die UL verarbeitet vor allem pflanzliche Öle, Produktion von Margarinen.

                                           Bild: © ullstein-bild - AP
Greenpeace-Aktivisten entrollen einen ca. 100 qm großen Banner am Unilever Hochhaus in Hamburg

Einkaufsberater „Ohne Gentechnik“ 

Der Einkaufsratgeber für gentechnikfreien Genuss: Essen ohne Gentechnik wird ab 2002 das neue Tätigkeitsfeld. Schwerpunkte werden zunehmend Gentechnik im Tierfutter sowie Milch und Milchprodukte. Mit dem Einkaufsberater sollen Verbraucher über eine Ampelmarkierung über den Gen-Tech-Status eines Lebensmittels bzw. über die Bereitschaft zum Verzicht der Gentechnik informiert werden. „Grün“: das Produkt wird ohne Gentechnik hergestellt; „Gelb“: der Hersteller bemüht sich, das Produkt ohne Gentechnik herzustellen; „Rot“: das Lebensmittel ist mit Gentechnik hergestellt. Sinngemäß gilt, dass ein Produzent auf die Verwendung von Futtermitteln, die Bestandteile von gv-Pflanzen enthalten, verzichtet, versucht, sie zu meiden oder verwendet solche gv-Futtermittel. An sich für Verbraucher eine nützliche Informationsbroschüre. Allerdings kann die Broschüre auch anders gelesen werden: „Rot“: Produzent kommt der Aufforderung von Greenpeace auf Verzicht der Gentechnik nicht nach; „Gelb“: Produzent versucht der Aufforderung nachzukommen, „Grün“ Produzent ist der Aufforderung nachgekommen. Greenpeace hat ab 2001 400 – 500 Lebensmittelhersteller angeschrieben, die Risiken der Gentechnik für Mensch und Umwelt dargestellt und versucht, sie davon zu überzeugen, dass ein Verzicht der Gentechnik bzw. eine gentechnikfreie Fütterung ökologisch sinnvoll und ökonomisch vorteilhaft sei.

Ausschnitt aus einem Schreiben an ein Unternehmen, das bislang in „Gelb“ eingestuft ist: „Nach dem bis jetzt verstrichenen Zeitraum ist Greenpeace sehr daran interessiert zu erfahren, welche konkreten und nachprüfbaren Schritte Ihr Unternehmen in diese Richtung unternommen hat. Ohne einen Nachweis über bereits vollzogene Schritte oder berechtigte Gründe, die ein Vorankommen verhindern, kann Verbrauchern nach 12 Monaten nicht mehr glaubhaft vermittelt werden, dass sich ein Unternehmen wahrhaft bemüht.“

Oder an eine andere Firma, die den Verzicht von gv-Futtermittel bei ihren Vorlieferanten nicht durchsetzen will bzw. nicht garantieren kann: „Neue Studien belegen, dass gentechnisch veränderte Pflanzen bisher keinerlei Vorteil bieten. Im Gegenteil: Nach wie vor sind die Risiken für Umwelt und Mensch unkalkulierbar. (…………) Ihre Produkte werden nun automatisch auf der „Roten Liste“ aufgeführt werden. d. h. unter der Rubrik „Hersteller kann nicht garantieren, dass das Tierfutter keine genmanipulierten Substanzen enthält“

Die Briefe liegen bei bgf-Jany als Kopie vor.
Akteure und Briefschreiber für den Einkaufsratgeber waren unter anderen die A. Hissting** und M. Hofstetter.

Müller-Mich und Landliebe-Milch (2004 – 2008) 

Beide Kampagnen werden zusammen aufgeführt, da sie nicht nur im gleichen Zeitraum durchgeführt wurden, sondern sich häufig auch auf beide Unternehmen, allerdings mit unterschiedlicher Intensität, bezogen.

Gegenüber 1996 bis 2002 haben sich die Rahmenbedingungen sowie die gesetzlichen Vorgaben verändert. Lediglich die Möglichkeit einer freiwilligen Kennzeichnung „Ohne Gentechnik“ nach NVL (Neuartige Lebensmittel- und Lebensmittelzutaten-Verordnung) hat sich nicht geändert. Allerdings hatte bis 2005 kein Unternehmen von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.

Grundsätzlich bemängelte Greenpeace, dass sich die beiden Firmen weigern, ihre Zulieferanten zu verpflichten keine gv-Futtermittel zu verwenden. Dies obwohl nachgewiesen werden konnte, dass Landwirte gv-Futtermittel einsetzen oder selbst angebauten Bt-Mais MON 810 verfütterten. In den Milchprodukten wären bereits Genfragmente aus gv-Pflanzen nachgewiesen worden und ihr Risikopotential sei unkalkulierbar. Aufgrund der erwiesenen gravierenden Risiken für Mensch, Tier und Umwelt müssten die Unternehmen die Verarbeitung von Milch, die von Kühen stammt, die mit gv-Futtermitteln gefüttert wurden, sofort einstellen.

Müller-Milch

Im Frühjahr 2004 weigerte sich die Unternehmensgruppe Müller-Milch (Theo Müller GmbH & Co) trotz mehrmaliger Aufforderungen den detaillierten Abfragen von Greenpeace zum Einkaufsberater „Gentechnik im Essen“ nachzukommen. Stattdessen antwortete sie: „Die Unternehmensgruppe habe alles in ihrem Einflussbereich Mögliche getan, um den Einsatz von gentechnisch veränderten (GVO) Tierfutter auszuschließen.“ Dies war offensichtlich zu wenig. Greenpeace schaltete  daraufhin die Satire-Kampagne „Müll-Milch“ (www.müll-milch.de), gegen die dann der Unternehmer Müller gerichtlich vorging. Dies war zu viel! Der Unternehmer gab nicht klein bei; er brach die goldene Regel „Lege dich niemals mit Greenpeace an“ Greenpeace kämpfte daher mit härteren Bandagen an. Greenpeace-Aktivisten blockierten Zufahrtswege zu Müller-Milch Molkereien, Fabrikgebäude wurden mit Aufschriften wie Müller-Milch = Gen-Milch oder Müller-Milch igitt igitt angestrahlt. Informationskampagnen über die Gefährlichkeit von gv-Pflanzen und die unvorhersehbaren Risiken durch ihre Fütterung für Tier und Mensch wurden durchgeführt. Ihr Fazit war stets: „Eine Molkerei wie Weihenstephan (Anmerkung: die Molkerei zu Müller-Milch), die Genfutter bei ihren Lieferanten duldet, nimmt solche Nebenwirkungen auf Mensch und Natur billigend in Kauf. Gleichzeitig scheint sie an möglichen Nebenwirkungen des Einsatzes genmanipulierter Pflanzen im Tierfutter auf unsere Gesundheit kein Interesse zu haben – ebenso wie sie gerne Verbraucherwünsche ignoriert.“ Kampagnen dieser Art sind allerdings nicht sehr öffentlichkeitswirksam. Deshalb befreien Greenpeace-Aktivisten (Februar 2005) Geschäfte in Freising von den risikobehaften Milchprodukten - Gen-Milch bis zum Gen-Joghurt - und verbringen sie zurück zur Molkerei in Weihenstephan. Im März 2005 demonstrieren Greenpeace-Aktivisten in München sowie in weiteren 30 Städten vor Supermärkten gegen den Einsatz von genmanipulierten Futtermitteln bei der Molkerei Weihenstephan, die zur Firmengruppe Müller-Milch gehört. Später stürmen in 50 Städten Greenpeace-Aktivisten Supermärkte und versehen die Müller-Milch Produkte mit Warnaufklebern „Gen-Milch: Hände Weg!“. Greenpeace erklärt dazu: „Müller glaubt, Gen-Soja verfüttern zu können, nur weil die Milch nicht gekennzeichnet werden muss. Verbraucher können nicht erkennen, dass bei Müller Gen-Milch im Becher ist. Dies wollen wir mit unserer Aktion ändern. Heute kann der Verbraucher wählen, ob er Gen-Food kauft oder nicht.“ In wieweit und welche Umsatzverluste die Unternehmensgruppe durch die Aktionen erlitten hat, ist nicht bekannt geworden, aber der Unternehmer Theo Müller wehrt sich. Er unternimmt einen Gegenangriff. Er überzieht Greenpeace mit Prozessen: „Wir werden Greenpeace auf Schadenersatz verklagen, Anzeigen wegen Hausfriedensbruch, Nötigung, übler Nachrede und Verstöße gegen das Versammlungsverbot erstatten.“ Ebenso versucht der Unternehmer die Gemeinnützigkeit von Greenpeace in Frage zu stellen. Eine solche Gegenwehr, und dies aus dem Ernährungsbereich, ist für Greenpeace ungewohnt und nicht hinnehmbar. Langjährige Prozesse werden ausgetragen. Die Zulässigkeit des Begriffes „Gen-Milch“ wurde letztlich vom Bundesgerichtshof entschieden. Bundesgerichtshof: „Der Gebrauch des Begriffs „Gen-Milch“ durch den Beklagten genieße aber den Schutz des Grundrechts auf Meinungsfreiheit“ ( BGH-Urteil von 11. März 2008). Eine Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil wurde abgewiesen. In der Öffentlichkeit wurde das Urteil als großer Erfolg von Greenpeace über Müller-Milch gefeiert. Verschwiegen wurde allerdings, dass alle Aktionen von Greenpeace in Bezug auf Müller-Milch keinerlei Auswirkungen hatten und die Blockierungen der Zufahrtswege und das Bekleben der Müller-Milch Produkte mit Warnhinweisen rechtlich nicht zulässig waren. Aber erneut gab es für beide Seiten eine win-win Situation: Greenpeace hat sein Gesicht gewahrt und darf weiter den Begriff „Gen-Milch“ nutzen; Müller-Milch wurde später nicht mehr in Sachen Gentechnik von Greenpeace angegriffen.
Rahmenbedingungen:
Tierische Lebensmittel (Milch, Fleisch, Eier usw.), die von Tieren stammen, die mit gv-Futtermitteln gefüttert wurden, sind explizit von der Kennzeichnungspflicht ausgenommen. Aber Futtermittel mit ein Anteil ab 0,9% gv-Material müssen gekennzeichnet werden. (VO (EU) Nr. 1829/2003)
Die Nachweisverfahren für Lebensmittel mit Anteilen aus GVO wurden optimiert, empfindlicher und reproduzierbarer. Zahlreiche Handelslabore haben Nachweisverfahren für gv-Lebensmittel in ihr Repertoire aufgenommen. Alle Labore können eine qualitative Analyse durchführen und eine ja/nein Entscheidung fällen. Viele Laboratorien können den gv-Gehalt quantifizieren, aber Abweichungen von ±50% sind bei Werten unterhalb des Schwellenwertes von 0,9% Standard.
Der gv-Mais MON 810 wird auch in Deutschland angebaut. Ab 2005 zunächst für zu Versuchszwecken und dann bis Ende 2008 auch kommerziell. Dieser Bt-Mais wird auch an Milchkühe verfüttert.
Es gibt keine wissenschaftlichen Hinweise, dass die Verfütterung von gv-Pflanzen an Kühe im Vergleich zu entsprechenden konventionellen Futter zu stofflichen Veränderungen in der Milch führt.
In Fütterungsstudien, die nach international anerkannten Standards durchgeführt wurden, konnte in der Milch DNA (DNA-Bruchstücke) nachgewiesen werden, aus den neu eingeführten Genen stammt.

      Bild: © pa-picture-alliance/dpa
Greenpeace-Aktivisten bringen ein Schild „Gen-Milch“ bei der Molkerei Weihenstephan, ein Betrieb der Müller-Milch Unternehmensgruppe, an.
          Bild: © pa-picture-alliance/dpa/dpaweb
Greenpeace Protestaktion
„Müller-Milch = Gen-Milch*
*hergestellt mit genmanipuliertem Tierfutter 

Landliebe-Milch – Campina Unternehmen

Die Aktionen gegen Landliebe-Milch unterschieden sich nicht wesentlich von denen gegen Müller-Milch. Im Erscheinungsbild unterschieden sich jedoch beide Unternehmen wesentlich. Landliebe-Milch hatte ein besonderes positives Image und pflegte das Bild einer Naturverbundenheit und den naturnahen Umgang mit seinen Milchkühen. Dies war dann auch der Hauptangriffspunkt. Bemängelt wurde, dass Landliebe-Milch und andere Milchprodukte von Kühen stammt, die mit gv-Pflanzen gefüttert werden und das Unternehmen befördere eine Umweltzerstörung durch Gen-Soja. Es besteht zwar keine Kennzeichnungspflicht für Milch, aber Campina-Landliebe würde hier den Informationsbedarf von Verbrauchern missachten. Ähnlich wie bei Müller-Milch protestieren im November 2005 in 22 Städten Greenpeace-Aktivisten vor Supermärkten. In den Läden werden zur Information der Verbraucher Landliebe-Produkte mit einem Warnhinweis „Gentechnik – Hände weg“ versehen. A. Hissting** von Greenpeace mahnt Verbraucher „Landliebe-Produkte sind eine Mogelpackung. Mit Liebe zum Land hat dies nichts zu tun. Landliebe-Produkte sind ein schamloser Betrug am Verbraucher. Wer Landliebe kauft, entscheidet sich für Gentechnik im Tierfutter“. Greenpeace verweist darauf, dass bereits die kleine Upländer Bauernmolkerei auf eine „genfreie“ Milch umgestellt hätte und somit demonstriert, dass dies zu bewerkstelligen sei. Lediglich die Großmolkereien, wie Müller-Milch und Campina-Landliebe würden auf der Lüge beharren, dass ein Verzicht auf Gen-Pflanzen nicht möglich sei. Nach weiteren kleineren Auseinandersetzungen entschließt sich Landliebe-Campina einen Teilbereich auf Milch umzustellen, die nicht von mit gv-Futtermitteln ernährten Kühen stammt. Landliebe-Campina war die erste Großmolkerei, die in Deutschland Milch „Ohne Gentechnik“ anbot. Diese Milch wurde mit erheblichem Werbeaufwand in den Markt eingeführt. Landliebe nutzt allerdings bis heute das vom BMEL empfohlene und vom VLOG** vergebende Siegel „Ohne Gentechnik“ nicht.

Greenpeace lobt sich nach dem Motto „Tue Gutes und rede darüber“ und führt aus:
"Seit 1996 setzt sich Greenpeace international für gentechnikfreie Lebens- und Futtermittel ein. Und der lange Atem zahlt sich aus. Unsere Erfolge:
  • 2005: Die hessische Upländer Bauernmolkerei führt die erste Milch in Deutschland mit der Kennzeichnung ohne Gentechnik ein.
  • 2006: Tegut stellt als erste Handelskette seine Frischmilch-Eigenmarke um und kennzeichnet sie mit der Aufschrift Milch ohne Gentechnik.
  • 2008: Seit September 2008 verzichtet die bekannte Milchmarke Landliebe auf gentechnisch veränderte Futterpflanzen für Milchkühe.
  • 2009: Die Molkerei Breisgaumilch stellt ihre Marke Schwarzwälder Weidemilch gentechnikfrei her.
  • 2011: Bei der Babymilchnahrung schwenken auch Hipp, Milupa, Alete und Humana auf gentechnikfreie Milch um.
  • 2012: Jetzt ist auch Nestlé mit im Boot. Der Konzern hat angekündigt, das komplette Molkepulver für seine Alete- und Beba-Produkte aus gentechnikfreier Herstellung zu beziehen."

Sehr viele Lebensmittel kommen heute schon in irgendeiner Form mit Gentech in Berührung, etwa durch Futtermittel oder Enzyme und Vitamine. Den Herstellern und dem Handel fehlt aber bislang eine Strategie für einen offenen Umgang mit dem Thema. Wenn Greenpeace droht, tauchen sie ab oder biedern sich an. Nur wenige wagen wie Unternehmer-Urgestein Theo Müller (Müller-Milch) den Konflikt. Es wird Zeit, dass sich das ändert. Greenpeace hat kein Mandat, für uns alle zu sprechen. Wir Verbraucher sind nicht so blöd, wie man uns weismachen will. Wir bilden uns selber ein Urteil – aber dafür, liebe Produzenten und lieber Handel – brauchen wir endlich die entsprechenden Produkte im Supermarkt-Regal.
                             
                             ► Till Behrend 15,01.2008

Landliebe-Milch weist seine Milchprodukte
mit einem eigenen Siegel für die
Gentechnikfreiheit aus. Das Unternehmen nutzt nicht den vom VLOG empfohlene Siegel.
Inwieweit die genannten Firmen die Umstellung auf eine gentechnikfreie Produktion tatsächlich aufgrund von Greenpeace Aktivitäten durchführten, soll hier nicht diskutiert werden. Sicher ist aber, dass die beiden erstgenannten Unternehmen, - aufgrund ihrer Firmenphilosophie - von sich aus gentechnikfrei produzieren wollten.

Im Mai 2008 trat das neue Gesetz zur freiwilligen Auslobung von Lebensmitteln ohne Gentechnik in Kraft ( EGGenTDurchfG). Eine Verwendung von Futtermitteln mit Anteilen bis zu 0,9% gv-Pflanzenanteilen widerspricht nicht einer ohne Gentechnik Auslobung tierischer Produkte. Im Sinne des Gesetzgebers erfolgt hier nun eine gentechnikfreie Produktion. Diese Erleichterung schaffte die Voraussetzung für Forderungen von Handelsunternehmen an Molkereien und Landwirte, Milch entsprechend den neuen gesetzlichen Vorgaben zu produzieren und Milch mit dem Siegel „Ohne Gentechnik“ fast flächendeckend anzubieten.

Das Gesetz zur Kennzeichnung von Lebensmittel „Ohne Gentechnik“ ist natürlich nicht auf Druck von Greenpeace entstanden. Es sollte aber den Wünschen von Verbrauchern und Parteien nachkommen, den Markt für gentechnikfeie Lebensmittel zu öffnen, in dem die Auslobung „ohne Gentechnik“ erleichtert werden sollte. Und dies, auch wenn die Produkte nur nach Gesetz ohne Gentechnik hergestellt worden sind (siehe https://www.biotech-gm-food.com/kommentare/ohne-gentechnik/).
In den Folgejahren änderte Greenpeace seine Kampagnenstrategie nicht, lediglich das Produkt Milch wurde durch Eier und(Geflügel-) Fleisch ausgetauscht. Im Fokus standen hier vor allem die Handelskonzerne Aldi und Lidl und McDonalds. Die Unternehmen sollten Gen-Eier und Gen-Fleisch gegen Produkte mit dem Siegel „Ohne Gentechnik“ austauschen. Hiermit würden sie eine gentechnikfreie Lebensmittelproduktion unterstützen und Verbraucher vor der Verwendung von risikobehafteten Futter- und Lebensmitteln schützen. Nicht nur Aldi und Lidl sondern fast alle Handelsunternehmen haben stilschweigend diese Umstellung vorgenommen und die Verkaufspreise auf Kosten der Landwirte konstant gehalten. Die Mehrkosten für die gentechnikfreie Fütterung entsprechend der Gesetzesvorgaben wurden kaum bzw. nicht honoriert. In keinen der Fälle hat sich Greenpeace dafür eingesetzt, dass Landwirte bei einer gentechnikfreien Fütterung auch höhere Erzeugerpreise erhalten sollten. Verständlich! Das Image von Greenpeace würde beschädigt, würde Meldungen laut, dass Greenpeace für Preissteigerungen bei Lebensmitteln mitverantwortlich sei.
Aldi" und "Lidl" führen dabei den Preiskrieg um das Billighuhn an. Allein "Rewe" und "Tegut" garantieren bisher, auch weiterhin auf die riskante Gentechnik zu verzichten.

Quelle: http://www.mopo.de/3718952 ©2016
Der Begriff „Gen“ im Zusammenhang mit anderen Worten wurde auch bald populistisch und parteipolitisch genutzt: z.B. für Werbezwecke im Tourismus und Gesundheitswesen: Gen-freie Kurstadt; gen-freie Heilstätte oder die liebliche gen-freie Region oder in Wahlveranstaltungen mit Forderungen nach genfreien Naturlandschaften. Aber auch in Gemeindeverordnungen und Pachtverträgen wurde die „Genfreiheit“ verankert. Selbst in einer renommierten Universitätsstadt konnte die Partei Bündnis90/Die Grüne im Gemeinderat demokratisch durchsetzen, da sich die anderen Parteien bei der Abstimmung enthielten, dass sich die Gemeinde nun als genfreie Universitätsstadt ausweisen soll. Aber und dies muss ausdrücklich erwähnt werden, dass nach Abklingen der Emotionen und mit einsetzendem Verstand viele Gemeinden den Begriff „genfrei“ durch „gentechnik-freie Anbauregion“ ersetzten.

Der Kommentar von Herrn Ewert aus der Osnabrückener Zeitung, der zwar zur Änderung des Gentechnikgesetzes geschrieben wurde, sollte aber auch im Zusammenhang mit der Forderung von Greenpeace nach einem totalen Verzicht der Gentechnik zu denken geben.
„Entpuppt sich eine Totalverweigerung als unkorrigierbare Fehlentscheidung, könnte der deutsche Agrar- und Lebensmittelsektor ferner auf Dauer aus dem Rennen sein. Das bisherige Höfesterben wäre niedlich im Vergleich zu dem, was geschähe, wenn allerorts bessere Produkte zu günstigeren Preisen produziert würden als in Deutschland.“

Fazit 1:

Greenpeace konnte mit seinen Aktionen den weltweit fortschreitenden Anbau von gentechnisch veränderten Nutzpflanzen nicht aufhalten.
  1. Die Aktionen motivierten weder Landwirte, den Anbau von konventionellen Sojabohnen zu forcieren noch konnten sie Importeure überzeugen, den Import von gv-Futtermitteln zu Gunsten von gentechnikfreiem Soja zu reduzieren.
  2. Für die deutsche Landwirtschaft sind keine ökonomischen Vorteile durch das gentechnikfreie Wirtschaften erkennbar. Gentechnikfreie Lebensmittel werden im Ausland nicht verstärkt nachgefragt.
  3. Die Aktionen gegen die Fütterung von Milchkühen mit gv-Futtermitteln und zur gentechnikfreien Produktion von Milch waren bis 2008 nicht besonders erfolgreich. Letztlich wurden sie auf dem Rücken der Landwirte und Milchbauern ausgetragen. Der Durchbruch erst kam durch eine Gesetzesänderung. Nicht kennzeichnungspflichtige Futtermittel sind ab jetzt in den Augen von Greenpeace gentechnikfrei.
  4. Greenpeace hat das Bild der Grünen Gentechnik in Deutschland wesentlich geprägt und die veröffentlichte Meinung bestimmend beeinflusst.
*   Mit Greenpeace ist stets der Verein Greenpeace e.V. gemeint und der Begriff Aktivisten bezieht sich stets auf Personen beiderlei Geschlechts.

** A. Hissting ist heute Geschäftsführer des Vereins für Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG), der Vergabestelle für das Siegel „Ohne Gentechnik“.


06.11.2016

Ergänzung

Greenpeace agiert international und versucht eine fundamentale Ablehnung der Grünen Gentechnik auch in anderen Ländern mit allen Mitteln durchzusetzen. Die völlige Ignorierung wissenschaftlicher Erkenntnisse, die in den letzten 20 Jahren gewonnen wurden, veranlasste Nobelpreisträger Mitte des Jahres 2016 in einen offenen Brief an Greenpeace, an die Vereinten Nationen (UN) und an Regierungen vieler Ländern ihre Sorge über die totale Verweigerung der Grünen Gentechnik auszudrücken und auf die Folgen hinzuweisen. Als ein markantes Beispiel wurde der Golden Rice ausgewählt. Dieser gv-Reis synthetisiert im Endosperm ß-Carotin, den Vorläufer für Vitamin A. Der Verzehr dieses gv-Reises könnte gerade in den Ländern Ostasiens Vitamin A Mangel bedingte Erkrankungen und Todesfällen vorbeugen. Durch Greenpeace Aktivitäten würden hier die Entwicklung und Markteinführung des Golden Rice massiv behindert oder verzögert. Greenpeace würde hier aus populistischen Gründen billigend Erkrankungen und den Tode zahlreicher Menschen in Kauf nehmen. Die Nobelpreisträger fordern Greenpeace zum Umdenken auf und schließen ihren Brief mit dem Statement: „How many poor people in the world must die before we consider this a "crime against humanity"?

( „Wie viele von Armut betroffene Menschen in der Welt müssen noch sterben, bevor wir dies als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ anerkennen?“)

Reaktion von Greenpeace Deutschland „Unsere Position bleibt unverändert“ ( Tagesspiegel) und weiter: Die "einzige garantierte Lösung" im Kampf gegen Mangelernährung sei eine "gesunde und vielfältige Ernährung" ( Der Spiegel). Im Prinzip ein richtiges Statement, aber in Bezug auf die Länder in denen der Golden Reis zur Erweiterung der Nahrungsmittelspektrums zum Einsatz kommen soll, gerade zu zynisch bis menschenverachtend. 

Auf einer Pressekonferenz in Berlin (FGV) appellieren die   Nobelpreisträger Prof. Dr. Nüsslein-Vollhard und Prof Arber sowie der Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Prof. Dr. Jörg Hacker an Greenpeace sich dem wissenschaftlichen Dialog zu öffnen. Die Kernaussage ihres Aufrufes: „Blockade der Gentechnik ist Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.

Gesellschaft, Politik und Gesetzgebung

Mitte der 80-ziger Jahre des letzten Jahrhunderts wurden die (wissenschaftlichen) Grundlagen für die Gesetzgebung zur (An-)Verwendung von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) geschaffen. Die Begriffe „Organismus“ und „gentechnisch-veränderten Organismus (GVO)“ wurden definiert und festgelegt, was unter „Gentechnik“ bzw. „gentechnische Verfahren“ in Sinne des Gesetzes zu verstehen ist. Diese Arbeiten waren nach Art. 36 der AEUV* (KOM /85/310, KOM/86/573 notwendig, der vorsah, Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit zu entwickeln. Auf diesen Vorarbeiten sind dann die Gesetze (Richtlinien und Verordnungen) entstanden, die einerseits die Bevölkerung der europäischen Gemeinschaft/Union vor Risiken (Lebensmittelsicherheit, Umweltschutz) der Gentechnik schützen und anderseits den Handel mit GVO und daraus hergestellter Erzeugnisse (Inverkehrbringen, Kennzeichnung, Rückverfolgbarkeit, Nachweis) ermöglichen sollen. Die ersten beiden Richtlinien 90/219/EC (Arbeiten in geschlossenen Systemen) und 90/220/EC (Freisetzung von GVO) wurden noch weitgehend auf Basis des wissenschaftlichen Kenntnisstandes formuliert und von der EU-Kommission so verabschiedet.

                            * AEUV Abkürzung für den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Nach Richtlinie 90/220/EC wurden die gv-Sojabohne Roundup Ready (96/281/EG) und der Mais Bt-176 (97/98/EG) für die Verarbeitung und der daraus gewonnener Produkte als Lebens- und Futtermittel  zugelassen.

Die erste große gesellschaftspolitische Einflussnahme führte im Oktober 1998 zu einem bis 2003 andauernden de-facto-Moratorium gegen die Zulassung von GVO in der Europäischen Union. Begründet wurde es, dass die Gentechnik-Gesetzgebung unvollständig und wichtige Aspekte nicht hinreichend berücksichtig (z.B. Koexistenz, Sicherheitsbewertung, Umweltschutz,  Kennzeichnung, Haftung usw.) seien.Zur Überwindung des Moratoriums wurde die bereits mehrmals modifizierte Freisetzungsrichtlinie 90/220/EC um die strittigen Punkte erweitert und in die RL 2001/18/EC überführt. Zulassung, Kennzeichnung und Nachverfolgbarkeit von GVO und daraus hergestellter Erzeugnisse werden in den  Verordnungen (EC) Nr.1829/2003 und EC Nr. 1830/2003 neu reguliert. Auf politischen Druck wurde in VO (EC)1829/2003 der Schwellenwert für eine verpflichtende Kennzeichnung von 1% auf 0,9% gesenkt. Der in VO (EC) Nr. 49/200 eingeführte Schwellenwert von 1% hatte keine wissenschaftlich begründete Grundlage. Seine Höhe lässt sich möglicherweise aber begründen: Aus Umfragen konnte geschlossen werden, dass die meisten Untersuchungsämter der EU-Mitgliedstaaten einen Anteil von 1% zwar mit großen Schwankungsbreiten, aber hinreichend erfassen können. Die Absenkung des Schwellenwertes von 1% auf 0,9% lässt sich mit nichts begründen; lediglich politische Versprechen wurden eingelöst. Einen substantiellen Einfluss auf die Kennzeichnungspflicht hat die Absenkung des Schwellenwertes nicht.

  1. Organismus: jede biologische Einheit, die fähig ist, sich zu vermehren oder genetisches Material zu ̧übertragen;

  2. genetisch veränderter Organismus (GVO): ein Organismus mit Ausnahme des Menschen, dessen genetisches Material so verändert worden ist, wie es auf natürliche Weise durch Kreuzen und/oder natürliche Rekombination nicht möglich ist.
                    Richtlinie 90/220/EC, Artikel 2



Ein Prozentsatz von 1 % eignet sich am besten als Toleranzwert, der sowohl niedrig angesetzt ist als auch die notwendige Praktikabilität in der Produktionskette bietet. Es gibt bereits Nachweisverfahren — oder es wird diese in Kürze geben —, die es ermöglichen, diesen Wert einzuführen.

Erwägungsgrund 8 und Art.1, Abs. 2b, VO (EC) Nr. 49/2000

 
Den vorläufigen Höhepunkt stellt sicherlich die opt-out Richtlinie (EU) 2015/412 dar. Nach ihr darf jeder Mitgliedsstaat eigenständig den Anbau von gv-Pflanzen auf seinem Hoheitsgebiet verbieten, obwohl sie von der EU-Kommission dafür zugelassen wurden sind. Da die gv-Pflanzen von der EFSA als sicher bewertet und von der EU-Kommission zugelassen wurden, spielen bei den individuellen nationalen Anbauverboten Sicherheitsbedenken keine besondere Rolle mehr. Mit der opt-out Richtlinie wurde der gemeinsame Markt unterminiert, nationale protektionistische Maßnahmen unterstützt und letztlich der Ausstieg Europas aus der kommerziellen Nutzung der Grünen Gentechnik eingeläutet.

Fazit 2:

Der zunehmende Einfluss von Gesellschaft, veröffentlichter Meinung und Politik auf die Gesetzgebung spiegelt sich besonders im Bereich der Gentechnik im Agrar- und Lebensmittelsektor besonders wider. Wie nie zuvor ist heute die Gesetzgebung von (wahl-)politisch motivierten Bedürfnissen, Empfindlichkeiten, Wünschen etc. bestimmter Gruppierungen/Parteien geprägt. Bei der Gesetzgebung werden naturwissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert bzw. konsequent ausgeschlossen. Viel zu selten werden tatsächliche Notwendigkeiten und langfristigen Folgen eines Gesetzes bedacht. Vielmehr steht der kurzfristige politische Erfolg im Vordergrund.

Annex 1: Richtlinien und Verordnungen

In Annex 1 sind die Richtlinien und Verordnungen für den Bereich der Gentechnik zusammengestellt. Während Verordnungen unmittelbar nach in Krafttreten ins nationale Recht übergehen, müssen Richtlinien in die nationale Gesetzgebung umgesetzt  werden. Aus der Freisetzungs- und der Systemrichtlinie entwickelte sich das deutsche Gentechnikgesetz (GenTG). Gegenwärtig soll die opt-out-Richtlinie ins GenTG überführt werden. (siehe auch: https://www.biotech-gm-food.com/gentechnik-gesetz/)
Richtlinie / Verordnung                               Gegenstand der Gesetzgebung ________________________________________________________________________________________________________
RL 90/219/EWG                  Arbeiten / Anwenden mit / von gentechnisch veränderten Mikroorganismen in geschlossenen System;
revidiert 98/81/EWG und Systemrichtlinie 2009/41/EG

RL 90/220/EWG                  Freisetzungsrichtlinie: Absichtliches Freisetzung von GVO in die Umwelt und Inverkehrbringen von
GVO, novelliert RL 2001/18/EG

      VO (EG) Nr. 1813/97             Kennzeichnung von gv-Soja und gv-Mais
      VO (EG) Nr. 1139/98             Kennzeichnung von gv-Soja und gv-Mais

VO (EG) Nr. 258/1997        Novel Food Verordnung erfasst Lebensmittel, die vor dem Stichtag15.05.1997 noch nicht in der EU im
       nennenswerten Umfang verzehrt wurden sind. GVO und daraus hergestellte Erzeugnisse sind hier
       eingeschlossen. Notifizierung, Zulassung, Kennzeichnung

      VO (EG) Nr. 49/2000             Kennzeichnung und Einführung des Schwellenwertes von 1% für zufällige oder technisch
        unvermeidbare Kontaminationen
      VO (EG) Nr. 50/2000             Einbeziehung von Zusatzstoffen und Aromen in die Kennzeichnungspflicht

VO (EG) Nr. 178/2002         Basis-Verordnung Allgemeine Grundsätze des LM-Rechtes, Lebensmittel Definition, Verfahren Sicherung
        der LM-Sicherheit, Etablierung der EFSA, Verantwortlichkeit für Sicherheit und Qualität

VO (EG) Nr. 1946/2003       Grenzüberschreitender Transport von GVO

VO (EG) Nr. 1829/2003       Zulassung und Kennzeichnung von GVO und Erzeugnissen aus GVO für Lebens- und Futtermittel

VO (EG) Nr. 1830/2003
      Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit von GVO und Erzeugnissen aus GVO für Lebens- und Futtermittel,
        Schwellenwert reduziert auf 0,9%

VO (EG) Nr. 65/2004          Entwicklung und Zuweisung eines spezifischen Erkennungsmarker für GVO

VO (EG) Nr. 882/2004        Sicherstellung angemessener Lebens- und Futtermittelkontrollen

VO (EG) Nr. 641/2004        Durchführungsbestimmungen zu VO (EG) Nr. 1829/2003

VO (EG) Nr. 1981/2006      Durchführungsbestimmung für Referenzlabore in der EU

VO (EG) Nr. 834/2007        „Öko“-Verordnung

VO (EG) Nr. 619/2011        Probenahme und Analyseverfahren bei gv-Lebens- und Futtermittel für die ein Zulassungsverfahren läuft

RL 2015/412
                    „opt-out“ Richtlinie Möglichkeit der individuelle Beschränkung oder/und Verbot des Anbau von GVO
       (gv-Pflanzen) auf dem Hoheitsgebietes eines EU-Mitgliedstaates
________________________________________________________________________________________
RL Richtlinie; VO Verordnung                                                                                                   modifiziert nach Bertheau Y. and Davison J. (2011)
_______________________________________________________________________________________________________________________________

Quellenangaben und Literatur

96/281/EG Entscheidung der Kommission vom 3. April 1996 über das Inverkehrbringen genetisch veränderter Sojabohnen (Glycin max. L.) mit erhöhter
        Verträglichkeit des Herbizids Glyphosat nach der Richtlinie 90/220/EWG des Rates. ABl L 107, 10-11
97/98/EG Entscheidung der Kommission vom 23. Januar 1997 über das Inverkehrbringen von genetisch verändertem Mais (Zea Mays L.) mit der kombinierten
        Veränderung der Insektizidwirkung des BT-Endotoxin-Gens und erhöhter Toleranz gegenüber dem Herbizid Glufosinatammonium gemäß der Richtlinie
        90/220/EWG des Rates. Abl L 31, 97-70
AWI/167/09: Pistrich KH., Wendtner S. und Janetschek H. (2014) Versorgung Österreichs mit pflanzlichem Eiweiß – Fokus Sojakomplex. Endbericht des
        Projektes Nr. „Versorgungssicherheit mit pflanzlichem Eiweiß in Österreich“
Bertheau Y. and Davison J. (2011): Soybean in the European Union, Status and Perspective. In Recent Trends for Enhancing the Diversity and Quality of
        Soybean Products, Prof. Dora Krezhova (Ed.), ISBN: 978-953-307-533-4,
DLG-Mitteilungen: Wolf M. (2014): Der Weltmarkt für Soja – ist die Bohne unverzichtbar?
est: Sojaanbau – globale Mengenverteilung und Mengenströme
FAL: Möller C., Parkhomenko S., Deblitz C., Riedel J. (2001): Ein Vergleich der weltweit wichtigsten Anbauregionen für Ölsaaten. Bundesforschungsanstalt
        für Landwirtschaft
FAO STATISTICAL YEARBOOK 2014 World Food and Agriculture
FAO STATISTICAL YEARBOOK 2014 Europe and Central Asia Food and Agriculture
FGV: Blockade der Gentechnik ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Hubert S., Koch R., Markolf M., Müller D., Miltenberger T., Schömbs T., Vollmer G. (2005): Wem gehört die Wahrheit? - Medien und Institutionen als Mittler
       zwischen Gesellschaft und Landwirtschaft
KOM/85/310/: Vollendung des Binnenmarktes -Weißbuch der Kommission an den den Europäischen Rat
KOM/86/573/:  MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DEN RAT EIN GEMEINSCHAFTSRAHMEN FUER DIE REGELUNGEN AUF DEM GEBIET DER BIOTECHNOLOGIE
MAGP (Ministry of Agriculture, Livestock and Fisheries, AR; IICA (Inter-American Institute for Cooperation on Agriculture, CR). 2012. Comparative study of
       genetically modified and conventional soybean cultivation in Argentina, Brazil, Paraguay, and Uruguay. Technical Coordinators: P. Rocha, V. M. Villalobos.
       San Jose, CR, IICA.
OVID (2015): Daten und Grafiken
OVID 1 Schmidt T. (2013): Eiweißstrategie - Gegenwärtiger Stand der Versorgung mit Eiweißfuttermitteln in Deutschland und Europa sowie Potentiale
       einheimischer Eiweißpflanzen für die Nutztierfütterung
Proplanta: Infothek Sojabohne: Wirtschaftliche Bedeutung
Statista: Marktanteile der drei größten Wxporteuere von Sojabbohnen
TI Peter G. und Oliver Krug O. (2016): Stellungnahme für BMEL: Die Verfügbarkeit von nicht-gentechnisch verändertem Soja aus Brasilien
transgen: Gentechnisch veränderte Sojabohnen Anbauflächen weltweit
Ufop:  Abel H., Sommer W., Weiß J., Inhaltsstoffe, Futterwert und Einsatz von Ackerbohnen in der Nutztierfütterung
Weber M.: Inhaltsstoffe von Futtererbsen und Ackerbohnen deutschlandweit geprüft.
WWF (2014): The Growth of Soy: Impacts and Solutions. WWF International, Gland, Switzerland ISBN: 978-2-940443-79-6

Die mit ►  im Text markierten Stellen führen direkt zur entsprechenden Quellenhinweis


neu: 17.11.2016
OVID: Hintergrundinformation „Ohne Gentechnik“ im Tierfutter: Internationaler Handel, heimischer Anbau und Verfügbarkeiten von
           Proteinfuttermitteln

neu: 12.09.2017
OVID - Dr. Thomas Schmidt „Internationaler Handel, heimischer Anbau und Verfügbarkeiten von Proteinfuttermitteln“ Präsentation  
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