Bis 2008 galt für die Kennzeichnung „ohne Gentechnik“ die Neuartige Lebensmittel- und Lebensmittelzutaten-Verordnung (NVL). Die Voraussetzungen für die Auslobung waren nach § 5: Das Lebensmittel
i. besteht nicht aus einem GVO oder enthält keine GVO,
ii. enthält keine Stoffe aus einem GVO bzw. bei der Herstellung wurden keine Stoffe aus GVO eingesetzt,
iii. dürfen nicht von Tieren stammen, denen Futtermittel, Futtermittelzusatzstoffen oder Arzneimittel aus GVO verabreicht wurden.
Diese Anforderungen waren hoch. Insbesondere Punkt iii. ließ sich für die Umsetzung einer Kennzeichnung nur sehr schwierig realisieren. Daher nicht verwunderlich:
Nur sehr wenige so gekennzeichnete Lebensmittel waren auf dem MarktBei diesen Lebensmitteln (vornehmlich Milch) konnten Verbraucher sicher sein, dass das Erzeugnis auf keiner Entstehungsstufe mit der Gentechnik in Berührung gekommen war. Es war tatsächlich ohne Gentechnik. Das Lebensmittel entsprach den Vorstellungen von Verbrauchen über die Bedeutung des Begriffes „ohne“. Dieser Sinn des Wortes „ohne“ im Bereich gv- und nicht gv-Lebensmittel entsprach aber nicht der Vorstellung von Verbraucherverbänden, NGOs und Politik. Das Gesetz sei unpraktikabel und zu leicht könne der Eindruck entstehen, es gäbe überhaupt keine gentechnikfreien Lebensmittel mehr. Deshalb sollte im Rahmen einer Änderung des Gentechnikgesetzes (GenTG) auch die NVL modifiziert werden. Mit der Novellierung sollten
a) die Anforderungen für die Auslobung „ohne Gentechnik“ reduziert,
b) das nationale Gesetz an die Europäischen Verordnungen angepasst und
c) Anreize für die Nutzung einer Kennzeichnung „ohne Gentechnik“ geschaffen werden.
Die gewünschte Novellierung der NVL muss auch vor dem Hintergrund gesehen werden, dass zum Unmut von Verbraucherverbänden und Teilen der Politik tierische Produkte nach der VO (EC) Nr. 1829/2003 nicht kennzeichnungspflichtig sind, wenn sie von Tieren stammen, die mit gv-Futtermitteln gefüttert wurden. Alle Bestrebungen einer Änderung der Gesetzeslage scheiterten auf europäischer Ebene. Eine besondere Auslobung von Produkten, die von Tieren stammen, die mit
gentechnikfreien Futtermitteln
gefüttert wurden, wurde daher auf nationaler Ebene angestrebt.
Die NVL unterschied nicht zwischen Lebensmitteln tierischen und nicht-tierischen Ursprungs. Alle Lebensmittel durften auf keiner Entstehungsstufe mit der Gentechnik in Berührung kommen. Letztlich auf Druck von Politik, insbesondere der SPD, Verbraucherverbänden und von NGOs wird im EGGenTDurchfGesetz nun diese Unterscheidung vorgenommen. Für die Lebensmittel nicht-tierischen Ursprungs bestehen zwischen der NVL und dem EGGenTDurchfGesetz nur marginale Unterschiede; die Anforderungen bleiben weiterhin hoch. Für Lebensmittel tierischen Ursprungs wird die Nicht-Kennzeichnungspflicht der verwendeten Futtermittel bzw. von Zusätzen nach VO (EC) Nr. 1839/2003 für eine Auslobung „ohne Gentechnik“ zum Maßstab. Futtermittel bis zu 0,9 % an zufälligen oder technologisch unvermeidbaren Beimengungen werden als gentechnikfrei angesehen bzw. definiert. Ihrer Verwendung steht einer Auslobung „ohne Gentechnik“ nicht entgegen. Ebenso ist die Fütterung mit kennzeichnungspflichtigen gv-Futtermitteln bis zu einem bestimmten Zeitraum erlaubt (Tab.1).
Futtermittelzusätze, die mit Hilfe der Gentechnik hergestellt werden fallen nicht unter den Anwendungsbereich der VO (EC)Nr. 1829/2003, sofern keine rekombinierte DNA oder der GVO nicht im Erzeugnis vorhanden ist. Sie sind nicht kennzeichnungspflichtig. Alles, was in der Tierernährung nicht kennzeichnungspflichtig ist, wird nun als „gentechnikfrei“ angesehen. Sie erfüllen somit die Voraussetzungen für die Auslobung „ohne Gentechnik“.
Mit der Unterscheidung zwischen Lebensmittel tierischen und nicht-tierischen Ursprungs wurde erreicht, dass tierische Erzeugnisse auch dann als „ohne Gentechnik“ ausgelobt werden dürfen, wenn sie mit der Gentechnik in Berührung gekommen sind. Der Gesetzgeber hat für Lebensmittel tierischen Ursprungs die Bedeutung des Wortes „ohne“ dahin abgeändert, dass unter
„ohne“
auch ein
wenig oder ein bisschen Gentechnik
akzeptiert werden kann (soll).
Wie zu erwarten, wurde das EGGenTDurchfGesetz unterschiedlich aufgenommen. Verbraucherverbände und Politik (SPD 1) feierten es als einen großen Erfolg für Verbraucher. Endlich kann bei Lebensmitteln tierischen Ursprungs zwischen gentechnikfreien Erzeugnissen und Produkten mit Gentechnik unterschieden werden. Große Teile der Lebensmittelwirtschaft und Juristen sehen in dem Gesetz jedoch eine erlaubte, staatlich sanktionierte Verbrauchertäuschung (Voigt und Grube (2013)).
Eine
►
repräsentative Verbraucherbefragung
durch das Institut für Agrarpolitik und Marktforschung der Universität Gießen zeigt, dass die Verbrauchererwartungen der Negativ-Kennzeichnung von den Vorstellungen der Politik grundlegend abweichen.
„Stellt man die Erwartungen der Verbraucher an die Kennzeichnung „ohne Gentechnik“ den Anforderungskriterien des EG-Gentechnik-Durchführungsgesetzes (EGGenTDurchfG) gegenüber, zeigt sich, dass jene Lockerungen, die durch die neuen gesetzlichen Regelungen im Mai diesen Jahres eingeführt wurden, von den Verbraucher nicht akzeptiert werden. Die Verbrauchererwartungen stimmen nicht mit den Kriterien der Kennzeichnungsregelung überein. Von den meisten Verbrauchern wird mit der Kennzeichnung „ohne Gentechnik“ ein gentechnikfreies und natürliches Produkt verbunden. 90% der Nennungen in der Kategorie „ohne Gentechnik“ führten konkret aus, dass entweder keine Gentechnik im Produkt selbst oder während des Produktionsprozesses erwartet wird. Insgesamt erwarten 28,3 % der Verbraucher ungestützt von einem als gentechnikfrei gekennzeichnetem Produkt, dass während des Herstellungsprozesses keinerlei Gentechnik zum Einsatz kam. Die Verbraucher erwarten, dass die Tiere, aus denen die tierischen Lebensmittel hergestellt werden, nicht mit genmanipulierten Futtermitteln gefüttert und auch nicht in ihrem Erbgut manipuliert wurden."
(Abschlussbericht: Lebensmittelkennzeichnung „ohne Gentechnik“: Verbraucherwahrnehmung und –verhalten, 2008)
Bereits kurz nach Inkrafttreten des Gesetzes forderte die SPD (SPD 2) zur Information der Verbraucher ein einheitliches Logo für gentechnikfreie Lebensmittel. Mit der Vergabe dieses Logos sollten einheitliche Standards gesetzt und die Einhaltung der Standards sollten durch eine „Stelle“ zertifiziert werden. Das Logo sollte eine Garantie für die Gentechnikfreiheit sein, so wie sie der Gesetzgeber sieht. Am 10. August 2009 stellte Landwirtschaftsministerin Aigner das „ohne Gentechnik“ Siegel der Öffentlichkeit vor und betonte:
„Die Einführung des "ohne Gentechnik" –Siegels hat die Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Verbraucher gestärkt.“ und stellte heraus. „Das "ohne Gentechnik"- Siegel des BMEL gibt Verbraucherinnen und Verbrauchern Sicherheit: Bei so gekennzeichneten Lebensmitteln werden besonders hohe Anforderungen an den Nachweis gestellt, dass keine gentechnisch veränderten Bestandteile vorhanden sind."
(BMEL)
Mit der Vergabe des Siegels wurde der Verband für Lebensmittel ohne Gentechnik e.V. (VLOG) betraut. Die Überwachung der Einhaltung der Kriterien nach § 3a, §3b des EGGenTDurchfG obliegt der amtlichen Lebensmittelüberwachung.