Sehr geehrtes Mitglied (w/m) des Europäischen Parlaments,
am 24. April 2024 wird der Kommissionsvorschlag zur Regulierung von Pflanzen und Produkten, die mit bestimmten neuen genomischen Techniken (NGT) gewonnen wurden, in 1. Lesung mit den vom EU-Parlament vorgeschlagenen Änderungen diskutiert und erneut darüber abgestimmt. Deshalb wendet sich der Wissenschaftskreis Genomik und Gentechnik e.V. (WGG) nochmals an Sie.
Nach eingehender Analyse der vom Parlament am 7. Februar 2024 angenommenen Änderungsanträge [1] bezüglich des Kommissionsvorschlages kristallisieren sich aus unserer Sicht drei vorrangige Punkte heraus:
· Patentierbarkeit von NGT-Pflanzen
· Sicherheitsbewertung von
· Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit von NGT-1-Pflanzen und Produkten
Lassen Sie uns bitte zu diesen Punkten unsere Sichtweise darlegen.
Patentierbarkeit: Im Einklang mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)[2] ist der WGG der Auffassung, dass es zur zufriedenstellenden Lösung rechtlicher Fragen rund um den Patent- und Sortenschutz für alle Beteiligten weiterer sorgfältiger Überlegungen bedarf. Allerdings gibt es keinen unmittelbaren rechtlichen Zusammenhang zwischen dem europäischen Gentechnikrecht einerseits und dem Recht des geistigen Eigentums (Patent- und Sortenschutzrecht) andererseits, wie es in der politischen Debatte oft dargestellt wird. Aus diesem Grund treten wir wie die DFG dafür ein, die Diskussionen um das Patent- und Sortenschutzrecht vom Regulierungsvorschlag der Kommission abzukoppeln und diesen nicht weiter aufzuhalten.
Sicherheitsbewertung: Der auf solider wissenschaftlicher Basis erarbeitete Vorschlag der Kommission zur Neuregelung von NGT-Pflanzen sieht vor, dass NGT-1-Pflanzen, deren genetische Veränderungen auch durch natürliche Prozesse oder klassische Züchtungsmethoden (inklusive Kreuzungs- und Zufallsmutageneseverfahern) entstehen könnten, mit klassisch gezüchteten Pflanzen rechtlich auf eine Stufe gestellt werden und von der GVO-Regulierung ausgenommen sind. Die Begründung, die von zahlreichen wissenschaftlichen Institutionen, wie z. B. der ZKBS [3]und der EFSA [4] geteilt wird, ist, dass solche NGT-1-Pflanzen kein erhöhtes Risiko gegenüber klassisch gezüchteten Pflanzen darstellen.
Die französische Agentur für Umwelt, Nahrungsmittelsicherheit und Arbeitsschutz (ANSES) hat in diesem Zusammenhang einen umfangreichen Report [5] veröffentlicht, dessen Erkenntnisse in Einklang mit den Bewertungen der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und der Zentralen Kommission für die biologische Sicherheit (ZKBS) stehen. So stimmt auch der WGG mit ANSES darin überein, dass jede Mutation zu einem Sicherheitsrisiko der jeweiligen Pflanze führen kann. Leider wird im ANSES-Report eine wesentliche Tatsache nicht ausgesprochen und die es allerdings zu ergänzen gilt: Dieses mögliche Gefährdungspotenzial gilt für alle Pflanzen, egal ob natürlich wachsend, konventionell gezüchtet oder aber mithilfe neuer genomischer Techniken entstanden. Vor diesem Hintergrund erbringt der ANSES-Report in Hinblick auf NGT-1-Pflanzen keine neuen Erkenntnisse, die es rechtfertigen würden, für weitere Schritte die neu angeforderte EFSA-Stellungnahme abzuwarten.
Kennzeichnung: Die Information über die Herstellung von Lebensmitteln ist ein verbrieftes Recht von Verbrauchern. Der Kommissionsvorschlag wird diesem mit der Einführung einer Identifizierungsnummer im Register gerecht. Die verpflichtende Kennzeichnung ist mit einem rechtssicheren Nachweis der genetischen Veränderung verbunden. Nach aktuellem Stand der Wissenschaft ist es durchaus möglich, das Vorhandensein einzelner Mutationen nachzuweisen, nicht aber, auf welchem Weg sie entstanden sind. Eine Differenzierung, ob die Mutation auf natürliche Weise, durch die induzierte Zufallsmutagenese oder die neuen genomischen Techniken entstanden ist, ist bislang nicht möglich. Es ist durchaus zu begrüßen, dass die Kommission gerade zwei Forschungsprojekte (DARWIN und DETETIVE) bewilligt hat. Erste Ergebnisse sind allerdings frühesten in zwei Jahren zu erwarten.
Im Sinne einer auf eine Nachhaltigkeit ausgerichteten Landwirtschaft, die zur Sicherung der Erträge auch den Anforderungen eines schnell voranschreitenden Klimawandels gerecht werden muss, aber auch mit Blick auf den Erhalt des Forschungsstandortes Europa appellieren wir an Sie, durch Ihr positives Votum eine evidenzbasierte Regelung für neue genomische Techniken in der EU auf den Weg zu bringen. Denn eines ist sicher: Es bleibt nicht mehr viel Zeit, um die Pflanzenzüchtung an das Tempo der globalen Herausforderungen anzupassen.
Vielen Dank für Ihr Interesse und Ihre Arbeit.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Klaus-Dieter Jany
1. Vorsitzender
[1] https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/TA-9-2024-0067_DE.html
[2] https://www.dfg.de/de/service/presse/pressemitteilungen/2023/pressemitteilung-nr-48
[4] https://efsa.onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.2903/j.efsa.2020.6299
https://efsa.onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.2903/j.efsa.2021.6301
https://efsa.onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.2903/j.efsa.2022.7621
https://efsa.onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.2903/j.efsa.2022.7618
[5] https://www.anses.fr/en/content/ntg-en