in-vitro-Mutagenese C-688/21

Schlussantrag von EuGH-Generalanwalt Szpunar: Auch die in-vitro-Zufallsmutagenese fällt unter die Ausnahmeregelung der Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EC


Stellungnahme des Generalsanwalts im Fall C-688/21 - In vitro Zufallsmutagenese

 

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS MACIEJ SZPUNAR vom 27. Oktober 2022(1) in der Rechtssache C-688/21


Confédération paysanne, Réseau Semences Paysannes, Les Amis de la Terre France, Collectif Vigilance OGM et Pesticides 16, Vigilance OG2M, CSFV 49, OGM: dangers, Vigilance OGM 33


gegen


den Premierminister und Ministerium für Landwirtschaft und Ernährung,

Beteiligte: Fédération française des producteurs d’oléagineux et de protéagineux

(Vorabentscheidungsersuchen des Conseil d’État [Staatsrat, Frankreich])


 

Die ► Pressemeldung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Einordnung von von Pflanzen, die aus in-vitro-Zufallsmutagenese hervorgegangen sind, liegt in Englisch vor. Die detaillierte Stellungnahme, ► die Schlussanträge, mit den begründeten Aussagen zu der Empfehlung an den EuGH „Die in vitro-Zufallsmutagenese fällt unter die Ausnahmeregelung in Anhang I A Nr. 1 der Freisetzungssetzungsrichtlinie 2001/18/EC“ wurde nicht ins Englische übersetzt.

 

Wie üblich für Entscheidungen des EuGH bereitet ein Generalanwalt die Sachlage aus juristischer und wissenschaftlicher Sicht auf. Hier die Einordnung von Pflanzen, die mit Hilfe von in-vitro-Zufallsmutageneseverfahren gezüchtet wurden. Aus der Analyse der Sachlage gibt er dann eine begründete Empfehlung für eine Entscheidung des EuGH ab. Die Empfehlungen des Generalanwalts sind für den EuGH nicht bindend.

 

Schlussanträge des Generalanwalts


In seiner Einleitung (RN 1 - 8) geht Generalanwalt Szpunar generell auf Mutageneseverfahren, ihre Anwendungen und Auswirkungen auf Pflanzen ein. Mit RN 8 zeigt er dann das Anliegen des Rechtsverfahrens auf:


 „Im vorliegenden Fall geht es um die Frage, ob Sorten, die aus der In-vitro-Zufallsmutagenese hervorgegangen sind und bislang als vom Anwendungsbereich der betreffenden Rechtsvorschriften ausgenommen galten und von denen eine Reihe in der Union angebaut werden, darunter die im Ausgangsverfahren fraglichen pestizidresistenten Rapssorten, nunmehr unter diese Rechtsvorschriften fallen und höchstwahrscheinlich das Schicksal der transgenen Sorten teilen müssen.“


Im Abschnitt „Rechtlicher Rahmen“ (RN 9 - 13) unterrichtet er rein formal über die anzuwenden Gesetze, die Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EC einschließlich dem Notifizierungsverfahren (EU) 2015/1535. Bei der Freisetzungsrichtline hebt er die Ausnahmeregelung für Verfahren/Methoden der gentechnischen Veränderungen nämlich der Mutagenese in Anhang I B Nr. 1 besonders hervor. Der Gesetzgeber hat in der Freisetzungsrichtlinie nicht zwischen in-vivo- und in-vitro-Zufallsmutagenese differenziert.


In folgenden Abschnitten „Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen" (RN 14 – 21) legt er Fakten und die Ergebnisse / Erkenntnisse aus den Ausgangsverfahren einschließlich dem ► EuGH-Urteil (C-528/16) (Originaltext) dar und bewertet sie teilweise.


Da einer der Beklagten die Zulässigkeit der Fragen der Kläger, die sich aus der Auslegung der Freisetzungsrichtlinie ergeben, ist Generalanwalt Szpunar der Auffassung, dass diese sehr wohl zulässig sind, aber in der formulierten Fassung nicht eindeutig und einheitlich vom Gerichtshof beantwortet werden können.


Fragen: (► C-688/21)


"Ist Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. März 2001 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der Richtlinie 90/220/EWG des Rates1 in Verbindung mit Anhang I B Nr. 1 der Richtlinie und im Licht ihres 17. Erwägungsgrundes dahin auszulegen, dass zur Bestimmung derjenigen Verfahren bzw. Methoden der Mutagenese, die im Sinne des Urteils des Gerichtshofs vom 25. Juli 2018, Confédération paysanne u. a. (C-528/16, EU:C:2018:583), herkömmlich bei einer Reihe von Anwendungen angewandt wurden und seit langem als sicher gelten, nur die Art und Weise zu berücksichtigen ist, in der das Mutagen das genetische Material des Organismus verändert, oder sind alle durch das angewandte Verfahren hervorgerufenen Änderungen des Organismus zu berücksichtigen, einschließlich somaklonaler Variationen, die die menschliche Gesundheit und die Umwelt beeinträchtigen könnten?


Ist Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/18/EG vom 12. März 2001 in Verbindung mit Anhang I B Nr. 1 der Richtlinie und im Licht ihres 17. Erwägungsgrundes dahin auszulegen, dass bei der Feststellung, ob ein Verfahren oder eine Methode der Mutagenese im Sinne des Urteils des Gerichtshofs vom 25. Juli 2018, Confédération paysanne u. a. (C-528/16, EU:C:2018:583), herkömmlich bei einer Reihe von Anwendungen angewandt wurde und seit langem als sicher gilt, nur der Freilandanbau der mit diesem Verfahren oder dieser Methode gewonnenen Organismen zu berücksichtigen ist, oder können auch Forschungsarbeiten und Publikationen berücksichtigt werden, die sich nicht auf diesen Anbau beziehen, und sind bei diesen Arbeiten und Publikationen nur diejenigen zu berücksichtigen, die sich auf die Risiken für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt beziehen?


Er schlägt deshalb dem EuGH vor, über diese Fragen hinauszugehen (RN 22) und wird die Fragestellung deshalb neu formulieren.


Bei seinen "Vormerkungen" (RN 23 – 30) geht er noch einmal darauf ein in wieweit die in-vitro-Zufallsmutagenese und die gezielte Mutagenese von der Freisetzungsrichtlinie  erfasst sind. Dabei stellt er fest, dass,


  • die gezielte Mutagenese nicht vom Anwendungsbereich der Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EC ausgeschlossen ist und dem EuGH-Urteil folgend auch erst nach in Krafttreten der Richtlinie entwickelt und angewendet wurde.


  • die in-vitro-Zufallsmutagenese im EuGH-Urteil nicht explizit abgehandelt und keine Differenzierung zwischen in-vivo- und in-vitro-Zufallsmutagenese vorgenommen wurde. Der EuGH habe keine Wertung beider Verfahren vorgenommen.


  • für die Beantwortung der Fragen entscheidend sei, ob die in-vitro-Zufallsmutagenese vom Anwendungsbereich der Freisetzung ausgeschlossen ist.


Auf den Abschnitt „Vorbringen der Parteien“ (RN 31 – 35) wird nicht eingegangen werden. Sind  im Prinzip bereits hier [1, 2, 3] wiedergegeben. 


Im Abschnitt „Umformulierung der Vorlagefragen“ (RN 36 – 43) begründet Generalanwalt Szpunar im Detail (RN 36 – 42) seinen Vorschlag für eine Umformulierung der Fragen und in RZ 43 formuliert er seinen Vorschlag:


 „Somit schlage ich vor, die Vorlagefragen in der vorliegenden Rechtssache so zu verstehen, dass sie im Wesentlichen die Frage betreffen, ob Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/18 in Verbindung mit deren Anhang I B Nr. 1 im Licht ihres 17. Erwägungsgrundes dahin auszulegen ist, dass die In-vitro-Zufallsmutagenese unter Anhang I B Nr. 1 der Richtlinie fällt.“


Einfacher ausgedrückt: Umfasst die Ausnahmeregelung in Anhang I B Nr. 1 auch die in-vitro-Zufallsmutagenese?


In Abschnitt „Prüfung der umformulierten Fragen“ (RN 44 – 69) überprüft Generalanwalt Szpunar aus naturwissenschaftlicher und rechtlicher Sicht die Richtigkeit seiner umformulierten Fragen und stellt gleich in RN 44 fest, dass es weder aus wissenschaftlichen noch rechtlichen Gründen zu verneinen sei, dass die in-vitro-Mutagenese nicht unter die Ausnahmeregelung fällt. Bei der wissenschaftlichen Betrachtung bezieht er sich auf die Ausführungen in den Stellungnahmen der ► EFSA [4] und des ► HCB. In Bezug auf die genetischen Änderungen ist eine Differenzierung zwischen in-vivo- und in-vitro-Zufallsmutagenese nicht gerechtfertigt (RN 45) und das Verfahren und Entstehen der Mutationen sei in beiden Fällen identisch. Dies ist unabhängig davon ob intakte Pflanzen, einzelne Zellen oder Gewebe dem Mutationsverfahren unterzogen wird. Dies bezieht auch somaklonale Veränderungen ein. Entsprechend der EFSA- und HCB-Stellungnahmen vertritt auch er die Auffassung, dass es sich bei der in-vivo- und in-vitro-Zufallsmutagenese nicht um zwei unterschiedliche Verfahren handelt, sondern um gleiche Verfahren zur Induktion von zufälligen Mutationen.


Da der EuGH in seinem Urteil (C-528/16) zu den Mutageneseverfahren lediglich Verfahren, die nach in Krafttreten der Freisetzungsrichtline entwickelt und angewandt wurden, in den ihren Geltungsbereich einschließt, verweist Generalanwalt Szpunar nachdrücklich daraufhin, dass die in-vitro-Zufallsmutagenese bereits lange vor 2001 (RN 65) in der Pflanzenzüchtung angewandt wurde. Der Gesetzgeber kannte bereits damals die Anwendungen der in-vivo- und in-vitro-Zufallsmutagenese und hat seiner Zeit bei der Gesetzgebung zur Freisetzungsrichtline keine Unterscheidung zwischen beiden Verfahren gemacht und beide Verfahren als ganz allgemein unter der Bezeichnung „Mutagenese“ aus dem Anwendungsbereich der Freisetzungsrichtlinie herausgenommen. 

 

Schlussfolgerung

An Hand des Sachverhaltes und der Würdigung der Fakten kommt Generalanwalt Szpunar zum Schluss, dass die in-vitro-Zufallsmutagenese unter die Ausnahmeregelung der Freisetzungsrichtline fällt und er deshalb dem EuGH vorschlagen wird, dass "Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. März 2001 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der Richtlinie 90/220/EWG des Rates in Verbindung mit Anhang I B Nr. 1 dieser Richtlinie ist im Licht ihres 17. Erwägungsgrundes dahin auszulegen, dass die In-vitro-Zufallsmutagenese unter Anhang I B Nr. 1 der Richtlinie fällt."

 

Wie schon anfangs erwähnt, sind die Schlussanträge des Generalanwalts nur Empfehlungen für den EuGH. Für den Gerichtshof sind sie nicht bindend und muss ihnen nicht folgen. In der Regel jedoch schließt sich der EuGH aber den Empfehlungen des Generalanwalts an. Erinnert sei jedoch daran, dass dies nicht immer der Fall ist, wie es gerade zu den Mutageneseverfahren (EuGH C-528/16) der Fall war.

 

Es muss nun abgewartet werden, wie das Urteil des EuGHs ausfällt. 


      [1]  Französischer Staatsrat stuft in vitro Mutageneseverfahren als Gentechnik ein

In vitro mutierte Pflanzen sind gentechnisch veränderte Organismen (GVO)

https://www.biotech-gm-food.com/kommentare/staatsrat-stuft-mutagenese-genom-editierung-als-gentechnik-ein


      [2]  Frankreich Notifizierungsverfahren 2020/280/F – „in-vitro-Mutageneseverfahren"

Novellierung der Umweltgesetzgebung Art. D 531-2 - Umsetzung von EuGH-Urteil (C-528/16)
https://www.biotech-gm-food.com/komm/notifizierungverfahren-2020-280-frankreich-pflanzen-aus-in-vitro-mutagenese-sind-gvo

 

     [3]  Staatsrat ruft den EuGH zur gesetzlichen Einordnung von Pflanzen, die durch in-vivo- und

   in-vitro-Zufallsmutagenesen gewonnen wurden, an

https://www.biotech-gm-food.com/kommentare/staatsrat-ruft-eugh-zur-einordnung-von-in-vivo-und-in-vitro-zufallsmutagenesen-an

 

     [4]  EFSA nimmt Stellung zu in-vivo und in-vitro Zufallsmutageneseverfahren

Mutanten aus in-vivo und in-vitro Zufallsmutagenesen nicht unterscheidbar

https://www.biotech-gm-food.com/kommentare/efsa-stellungnahme-zu-in-vivo-und-in-vitro-mutageneseverfahren




bgf-Jany 10.11.2022



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