EuGH-Urteil "Mutagenese" und RL2009/41/EG

EuGH-Urteil „Mutagenese“: Betrifft Arbeiten in geschlossenen Systemen – RL 2009/41/EC

Werden genom-editierte Pflanzen anders eingeordnet als genom-editierte Mikroorganismen?

Auf das Urteil ( C-528/16 vom 25.07.2018) des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zur rechtlichen Einordnung zielgerichteter Mutageneseverfahren haben viele gespannt gewartet. Es überraschte mit seiner eindeutigen Aussage „Durch Mutagenese gewonnene Organismen sind genetisch veränderte Organismen (GVO) und unterliegen grundsätzlich den in der GVO-Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen“ Dies rief insbesondere bei Pflanzenzüchtern und -forschern Enttäuschung und Unverständnis hervor. Andere Akteure im Biotechnologiebereich nahmen das Urteil dagegen recht gelassen auf. Sie vertreten (vertraten) die Auffassung, da sie keine gentechnisch veränderten Organismen (GVO) freisetzen oder nur mit Mikroorganismen arbeiten, würde sie das Urteil nicht betreffen. Die GVO-Richtlinie (die Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EC), so die Annahme, fände für sie keine Anwendung, da diese sich ausschließlich auf das absichtliche Freisetzen und Inverkehrbringen von GVO bezieht. Für sie käme nur Richtlinie 2009/41/EC für das Arbeiten in geschlossenen Systemen zum Tragen und diese sei nicht Gegenstand des EuGH-Urteils gewesen. Ein Trugschluss?
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Das EuGH-Urteil bezieht sich entsprechend der Voranfrage des Conseil d´Etat (französischer Staatsrat) primär auf die Einordnung von Mutagenese-Verfahren (klassische- und neue) bei der genetischen Modifikation von Pflanzen und deren beabsichtigte Freisetzung in die Umwelt entsprechend der Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG. Abweichend von der Vorabfrage bezieht sich das EuGH-Urteil jedoch nicht ausschließlich auf Pflanzen. Vielmehr stellt der EuGH unmissverständlich fest, dass es alle Organismen, außer dem Menschen einbezieht. Dies bedeutet, dass der EuGH Anwendungen von Mutageneseverfahren als gentechnische Verfahren betrachtet und Mikroorganismen (einschließlich filamentöse Pilze, Hefen usw.), Pflanzen und Tiere einbezieht.
Genom-editierte Organismen

GVO nur bei Freisetzung – kein GVO bei Arbeiten im geschlossenen System?

Die Richtlinien 2001/18/EG (Freisetzen) und 2009/41/EG (geschlossenes System) sind eigenständige Gesetze. Eine Anwendung/Übertragung des Urteils aus dem EuGH-Verfahren C-528/16 auf die Richtlinie 2009/43/EG erscheint nicht möglich. Jedoch baut letztere Richtlinie auf der Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG auf, ohne jedoch direkt Bezug auf sie zunehmen. Teilweise werden in Richtlinie 2009/41/EG „neue“ Definitionen vorgenommen. In beiden Verordnungen wird jedoch in den entsprechenden Anhängen (RL 20011/18/EG - Anhang 1B, RL 2009/43/EG – Anhang II, Teil A)  ausgeführt, die Mutagenese nicht zu gentechnischen (genetischen) Veränderungen führen. Mit den EuGH-Urteil ist diese Aussage für die Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG hinfällig. Es besteht nun hinsichtlich der Einordnung der Mutageneseverfahren zwischen den beiden Richtlinien rechtliche Diskrepanz. Daher muss und kann das EuGH-Urteil schon aus Gründen der Rechtskonformität auch auf Richtlinie 2009/41/EG angewandt/übertragen werden. Es ist rechtlich kaum begründbar, warum ein und derselbe genomeditierte Mikroorganismus (hier SDN-1, SDN-2) bei einer Freisetzung einen GVO darstellt und bei Arbeiten im geschlossenen System kein GVO sein soll. Wird das EuGH-Urteil nicht auf Richtlinie 2009/41/EG übertragen, bleibt hier die Einordnung von Mutageneseverfahren weiterhin im rechtsfreien Raum und zwei Richtlinien, die den Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen regeln, unterscheiden sich gravierend bzw. widersprechen sich.

Das EuGH-Urteil "Mutagenese" muss auch für die Richtlinie 2009/41/EG gelten

Wenn auch die Sicherheitsbedenken bei Freisetzungen höher eingestuft werden als Arbeiten in geschlossenen Systemen (Labor, Fermenter) sollten hier Pflanzen nicht gegen Mikroorganismen ausgespielt werden. Ist ein Organismus als GVO eingestuft, so ist er ein GVO gleichgültig ob er freigesetzt wird oder ob mit ihm im geschlossenen System gearbeitet wird.
Auswirkungen der Übertragung auf Richtlinie 2009/41/EG
Arbeiten in geschlossenen Systemen
Anlage mit drei Fermentern
    Fermentationsanlage
    Ruhland Engineering & Consulting
Nach dem EuGH-Urteil führen Anwendungen von Mutageneseverfahren bei Organismen, unabhängig von als klassisch und als sicher eingestuft oder von aus genomeditierten Verfahren und als unsicher erachtet, stets zu gentechnisch veränderten Organismen (GVOs). Dies bedeutet nun für den Umgang mit solchen mutierten Organismen (hier vornehmlich Mikroorganismen), dass diese nur noch in genehmigten gentechnischen Anlagen gehandhabt und verwendet werden dürfen. Die Auswirkungen werden hier als gering eingeschätzt, da die meisten Forschungseinrichtungen und gewerbliche Unternehmen solche Arbeiten bereits in gentechnischen Anlagen, einschließlich Fermentationsanlagen, durchführen. Im Zusammenhang mit dem Trend einer gentechnikfreien Produktion, insbesondere für Enzyme und Zusatzstoffe, haben einigen „Lohnfermentier“ ihre Produktionsstätte(n) bewusst nicht als gentechnische Anlage angemeldet. Dies müsste nun allerdings erfolgen und eine „gentechnikfreie“ Produktion wäre kaum mehr möglich. Hier müsste allerdings noch die individuelle nationale Regelung zum Umgang mit klassisch mutierten Organismen (Mikroorganismen) abgewartet werden. Genomeditierte Mikroorganismen dürften jedoch nur in gentechnischen Anlagen fermentiert werden.

Zulassung, Inverkehrbringen, Kennzeichnung von fermentativ gewonnenen Erzeugnissen
Dieser Gesichtspunkt berührt zwar nicht das EuGH-Urteil und hat auch keine Auswirkungen, wenn es auf die Richtlinie 2009/41/EG angewandt wird, denn diese Punkte werden über die Verordnung (EC) Nr. 1829/2003, Nr. 1830/2003, den Verordnungen aus „Food Improvement Package“ und für Futtermittel mit Verordnung (EC) Nr. 429/2008 geregelt. Auch wenn alle mutierten Mikroorganismen als GVO angesehen werden, besteht hier keine Kennzeichnungspflicht, da diese fermentativ gewonnenen Erzeugnisse „mithilfe von“ GVOs gewonnen werden. Bei den notwendigen Sicherheitsbewertungen dieser fermentativ gewonnenen Erzeugnisse spielt der Organismus (natürlicher, klassisch mutierter oder genomeditierter) nur eine untergeordnete Rolle, sofern sowohl der Produktionsorganismus als auch rDNA nachweislich nicht mehr im Produkt vorhanden sind. (siehe hierzu auch: 
https://www.biotech-enzymes.com/ und https://www.biotech-enzymes.com/lebensmittelenzyme-sicherheitsbewertung-efsa-unionliste-union-list)

Hier steht die gesundheitliche Unbedenklichkeit des Produktes im Vordergrund. Sinngemäß kann dies auch auf die fermentative Gewinnung (einschließlich Zellkulturen) von pharmazeutisch wirksamen Substanzen im medizinischen Bereich übertragen werden. In beiden Bereichen werden somit keine gravierenden Nachteile durch die Überführung des EuGH-Urteils auf die Richtlinie 2009/41/EG gesehen.

  EuGH-Urteil "Mutagenese" : Durch Mutagenese gewonnene Organismen sind GVO

   Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) fällt ein wegweisendes Grundsatzurteil zur Einordnung neuer Mutageneseverfahren.


Neu:

Dederer H.-G., Hamburger D. (2022): Are genome-edited micro-organisms covered by Directive 2009/41/EC?—implications of the CJEU’s judgment in the case C-528/16 for the contained use of genome-edited micro-organisms. Journal of Law and the Biosciences 9 (1), lsab033, | https://doi.org/10.1093/jlb/lsab033

https://academic.oup.com/jlb/article/9/1/lsab033/6513430


Faltus T. (2018): Das Mutagenese-Urteil des EuGH schwächt die rechtssichere Anwendung der Gentechnik. ZUR 10, 524-533

https://beck-online.beck.de/Bcid/Y-300-Z-ZUR-B-2018-S-524-N-1


Kahrmann J. und Leggewie G.: (2018): Gentechnikrechtliches Grundsatzurteil des EuGH und die Folgefragen für das deutsche Recht. NuR (2018) 40 (11): 761–765 761, https://doi.org/ 10.1007/s10357-018-3429-8

https://link.springer.com/article/10.1007/s10357-018-3429-8



BIO-Deutschland: Stellungnahme zur Anfrage des BVL zu Auswirkungen des EuGH-Urteils zu Mutagenese-Verfahren auf den Umgang mit genom-editierten Organismen im geschlossenen System

https://www.biodeutschland.org/de/positionspapiere/stellungnahme-zur-anfrage-des-bvl-zu-auswirkungen-des-eugh-urteils-zu-mutagenese-verfahren-auf-den-umgang-mit-genom-editierten-o.html


bgf-Jany, 03,02.2022


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