Ein Jahr nach EuGH-Urteil zu Mutageneseverfahren

Ein Jahr nach dem EuGH-Urteil (C-528/16) „Mutagenese-Verfahren“ 
Die GVO-Gesetzgebung muss geändert werden

Das EuGH-Urteil „Mutagenese“ (C-528/16) hat zu Konfusionen und Verunsicherungen geführt, und sie bestehen immer noch. Die restriktive und einseitige Interpretation des Urteils (be-)bzw. verhindert Anwendungen neuer Verfahren zu präzisen Veränderungen der genetischen Information von Organismen und dies nicht nur bei Pflanzen. 
Der europäische Gesetzgeber ist gefordert: Kleine Änderungen in der GVO-Gesetzgebung könnten Möglichkeiten öffnen, die es Wissenschaftlern, Pflanzen- und Tierzüchtern erlauben, diese neuen Verfahren praktisch nutzbringend anzuwenden. 
Nach dem Motto „Es wird schon gut gehen“ sollten die Staaten der Europäischen Union die Chancen in Hinblick auf Klimawandel und Nachhaltigkeit nicht ungenützt lassen.
Den Kopf in den Sand stecken, hilft bei schwierigen Problemen nicht!!
Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) fällte am 25. Juli 2018 ein Grundsatzurteil zur Einordnung von Mutageneseverfahren.

"Durch Mutagenese gewonnene Organismen sind genetisch veränderte Organismen (GVO) und unterliegen grundsätzlich den in der GVO-Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen"

"Von diesen Verpflichtungen ausgenommen sind aber die mit Mutagenese-Verfahren, die herkömmlich bei einer Reihe von Anwendungen verwendet wurden und seit langem als sicher gelten, gewonnenen Organismen, wobei es den Mitgliedstaaten freisteht, diese Organismen unter Beachtung des Unionsrechts den in der GVO-Richtlinie vorgesehenen oder anderen Verpflichtungen zu unterwerfen."

Dieses Urteil (C-528/16) überraschte Kritiker wie Befürworter der Grünen Gentechnik und führte zu Konfusionen, Irritationen und Verunsicherungen. Nahezu nichts hat sich seitdem geändert, wie die Statements und Presseverlautbarungen der Gruppierungen zum Jahrestag der Urteilsverkündung (25.07.2019) verdeutlichen. Befürchtungen – berechtigt oder nicht - sind geblieben! Die Rechtsunsicherheit besteht weiter! Politik und Gesetzgeber sind zwar nicht untätig, aber umgesetzt wurde noch nichts!

Sehr klar verdeutlichte Frau Ministerin Klöckner die Situation anlässlich des 3. BMEL-NMT-Forums: „Das Urteil hat zwar die aktuelle Rechtslage zu den neuen Techniken geklärt, aber wir müssen dennoch viele Fragen stellen und auch beantworten. Fragen zum Beispiel nach der praktischen Umsetzung des Urteils, aber auch zu unseren politischen Gestaltungsoptionen."

Es besteht weiterhin Diskussions- und Klärungsbedarf in der Auslegung des EuGH-Urteils und dies sowohl auf juristischer als auch naturwissenschaftlicher Basis. Eindeutig ist, dass Mutageneseverfahren als Gentechnik einzustufen sind und die so erzeugten Organismen gentechnisch veränderte Organismen (GVO) darstellen. Auch mit den klassisch angewandten Mutageneseverfahren gewonnene und vermarktete Organismen sind GVO! Sie sind allerdings von den Regularien der GVO-Gesetzgebung ausgenommen (s. oben). Der Status von klassisch mutagenisierten Organismen als GVO wird von vielen, aber besonders von Kritikern der Gentechnik verschwiegen. Für sie stellen die klassischen Mutageneseverfahren, die Behandlung von Organismen mit ionisierenden Strahlen oder mutagenen Substanzen, keine Gentechnik dar. Hier wird eindeutige Urteilsentscheidung ignoriert. Dennoch bestehen Befürchtungen, dass diese klassisch erzeugten Organismen von Mitgliedsstaaten separat nach Gentechnikrecht geregelt werden könnten.
Viele und nicht nur NGOs interpretieren die Urteilsentscheidung dahingehend, dass der EuGH alle Techniken für Änderungen der genetischen Information, die nach Inkrafttreten der Freisetzungsrichtlinie von 2001, angewandt wurden und zukünftig werden, gentechnische Verfahren sind und zu GVO führen. Deshalb hat er in Hinblick auf das Vorsorgeprinzip die so erzeugten Organismen und daraus gewonnenen Erzeugnisse pauschal und grundsätzlich den Anforderungen aus dem Gentechnikrecht unterworfen. Letzteres kann aus dem Urteil so stringent nicht abgeleitet werden. Der EuGH hat sich über Techniken und verschiedene Möglichkeiten der Genomveränderungen durch diese Techniken nicht geäußert.

Viele NGOs erwarten bzw. fordern aufgrund ihrer Auslegung des EuGH-Urteils von der EU-Kommission (und der Politik) eine Festschreibung der GVO-Gesetzgebung in ihrem Sinne auf Basis des Wissensstandes des letzten Jahrhunderts. Ihre Pressemeldungen lassen aber die Befürchtung erkennen, dass der Gesetzgeber, Teile der Politik und Wirtschaft sowie vor allem der Wissenschaft nicht unbedingt und vollumfänglich ihrer Urteilsauslegung folgt.

Züchter bzw. Züchterverbände haben sich zum Jahrestag der Urteilsverkündung nicht öffentlich geäußert, wohl aber die Wissenschaft. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erwarten und fordern genau wie NGOs eine Änderung der GVO-Gesetzgebung. Sie fordern aber eine Anpassung der Gesetzgebung an den Stand von Wissenschaft und Technik. Eine Fortschreibung der Freisetzungsrichtlinie an die Entwicklungen ist hier jedoch im Gegensatz zu vielen anderen Gesetzen nicht vorgesehen. Die Wissenschaft entwickelte bislang keine präzisen Vorgaben wie und worin die Gesetzesänderung(en) erfolgen sollte(n). Aber die Statements / Pressemeldungen lassen erkennen, dass
  • Organismen, die keine "Fremd-DNA" enthalten, wie klassisch mutagenisierte
  • Organismen mit genetischer Information, wie sie auch in artverwandten natürlicherweise vorkommt von restriktiven                 Vorgaben aus der GVO-Gesetzgebung befreit werden sollten. 
  • Organismen, die "Fremd-DNA" enthalten, weiter der GVO-Gesetzgebung unterliegen sollen.

Gerade zum Jahrestag wurde die europäische Bürgerinitiative „Grow Scientific Progress: Crops Matter!“ („Den wissenschaftlichen Fortschritt steigern: Kulturpflanzen sind wichtig!“) durch die EU-Kommission zur Unterschriftensammlung freigeschaltet. Die Initiative, eingebracht von Studenten der Universität Wageningen, hat ihre konkreten Vorstellungen zur Umsetzung einer Gesetzesänderung offen gelegt. Die Bürgerinitiative muss innerhalb eines Jahres, d.h. bis zum 25. Juli 2020, mindestens eine Million Unterschriften aus mindestens sieben unterschiedlichen Mitgliedstaaten sammeln, um die Kommission zum Handeln im geforderten Sinne oder zur Begründung ihres Nicht-Handelns zu bewegen.

Alle gesellschaftlichen Gruppierungen fordern eine Gesetzesänderung. Politik und Gesetzgeber sind zum Handeln gefordert! 
Statements – Pressemeldungen:
Vor einem Jahr, am 25. Juli 2018, stufte der Europäische Gerichtshof (EuGH) neue gentechnische Verfahren wie CRIPR/Cas und die aus ihnen gewonnenen Produkte als Gentechnik ein. Damit unterliegen sie einem Zulassungsverfahren mit einer
Michalopoulos S.: Industrie vs. Bio-Bauern: Sind Zuchttechniken Genveränderung?
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.: Wissenschaftler fordern Modernisierung des europäischen
17 Forschungseinrichtungen appellieren an die neu gewählten Institutionen, Hemmnisse bei Zucht neuer Pflanzensorten zu beseitigen
Europäische Pflanzenforscher wollen, dass die EU das geltende Gentechnik-Gesetz überarbeitet. Die Zucht neuer Pflanzensorten müsse einfacher werden.
European scientists urgently reach out to the newly elected European Parliament and European Commission to enable the potential of genome editing for sustainable agriculture and food production.
 (Auswahl)

Europäische Bürgerinitiative: 
Beschluss (EU) 2019/1184 der Kommission vom 3. Juli 2019 über die geplante Bürgerinitiative „Grow Scientific Progress:
    Crops Matter!“ („Den wissenschaftlichen Fortschritt steigern: Kulturpflanzen sind wichtig!“) ABl L 185, 11.7.2019, 50–51
   LEGAL DRAFT FOR DIRECTIVE 2001/18/EC
   There is a need for the clarification of the scope and definitions in Directive 2001/18/EC. Therefore, additional definitions of
   the following concepts shall be specified in Article 2.

26.07. -31.07.2019 
Auch der Europäische Rat ist der Auffassung, dass die Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EU einheitlich in geregelt und an Stand von Wissenschaft und Technik angepasst werden sollte. Daher hat der Rat hat unter der finnischen Ratspräsidentschaft vorgeschlagen, dass die EU-Kommission eine Studie erstellen soll, die die Möglichkeiten einer Änderung der Freisetzungsrichtlinie und den daraus resultierenden Auswirkungen auf Ökonomie und Ökologie untersuchen soll. Mit dem ► Beschluss (EU) 2019/1904 des Rates von 08.11.2019 wird nun die EU-Kommission offiziell zur Durchführung einer solchen Studie aufgefordert. 
                                                                                                                                                    
             mehr.....
15.11.2019
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