Auf Druck der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat Ministerpräsident W. Kretschmann am 21. Juli 2020 ein ausgeschriebenes Forschungsprogramm seiner Wissenschaftsministerin T. Bauer auf Eis legen lassen. Er betonte, dass Forschung zwar wichtig, dieses Thema allerdings „eine sehr diffizile Angelegenheit“ sei (1).
Was war geschehen?
Ministerin Bauer hat als verantwortungsvolle Wissenschaftsministerin ein Forschungsprogramm zum Genome Editing bei Pflanzen auf den Weg gebracht und auf der Internetseite ihres Ministeriums zur Teilnahme ausgeschrieben. Das Programm mit dem Thema „Forschungsprogramm Genome Editing – mit Biotechnologie zu einer nachhaltigen Landwirtschaft “ entsprach dem immer von den Grünen geforderten ganzheitlichen Forschungsansatz. Nicht Einzelprojekte sollten gefördert werden, sondern Forschungsverbünde, die nach Möglichkeit alle Aspekte von genomeditierten Pflanzen in der Anwendung beleuchten: Nicht nur Wirtschaftlichkeit, sondern auch Auswirkungen auf Biodiversität, ökologisches Gesamtgefüge und sozio-ökonomischen Auswirkungen.
In den ► Förderrichtlinien war für die Untersuchungen dezidiert ausgeführt:
Von einem Programm bei dem eine Förderung der Gentechnik im Vordergrund steht, wie viele aus ihrer Partei vermuten, kann hier jedoch nicht die Rede sein. Vielmehr sollen auf wissenschaftlicher Basis Vor- und Nachteile bzw. Auswirkungen genomeditierter Pflanzen auf Landwirtschaft und Natur untersucht werden. Ziel des Forschungsvorhabens ist letztlich, dass das Wissenschaftsministerium Entscheidungen auf wissenschaftlicher Basis treffen und der Politik Entscheidungshilfe liefern möchte. Entscheidungen sollten eben nicht mehr allein auf ideologischen Vorstellungen getroffen werden..
Allerdings ist Frau Ministerin Bauer für viele Grüne, Umwelt- und Imkerverbände verdächtig und wird mehr als Lobbyistinnen für die Gentechnik als für die Wissenschaft angesehen. Hatte sie sich nicht bereits in ihrem ► Der Spiegel-Interview vom 24.06.2018 „Die Grünen dürfen die Chancen der Gentechnik nicht länger ignorieren“ hinreichend geoutet? Hier hatte sie gewagt an der Richtigkeit des Grunddogmas der Grünen zur Gentechnik zu zweifeln! Eine Situation wie wir sie ähnlich vor 30 Jahren bereits einmal in Deutschland hatten: Anwendungen der Gentechnik im medizinischen Bereich (humanes Insulin) oder für Biokatalysatoren (Enzymen) in Waschmitteln oder zur Lebensmittelverarbeitung waren für die Grünen tabu und wurden fundamental abgelehnt. Jegliche Diskussion in der Partei über mögliche Chancen dieser Anwendungen wurde abgelehnt oder unterdrückt. Die Zeit ist inzwischen darüber hinweg gegangen. Beide Anwendungsbereiche sind heute eine Selbstverständlichkeit. Heute spricht bei den Grünen kaum jemand darüber. Man möchte den Widerstand gegen diese Anwendungen am besten vergessen. Wo wären wir heute ohne gentechnische Methoden z.B. in der Entwicklung von Impfstoffen gegen das Corona-Virus?
Der nächste Fehltritt von Frau Bauer, die sich als Ministerin für Wissenschaft und Forschung selbiger verpflichtet sieht, war in den Augen vieler Parteimitglieder, die Organisation des ► Symposiums „Neue Pflanzen – neue Regeln? Brauchen wir ein neues Gentechnikgesetz?“ 04. November 2019 in Stuttgart. Es war eine wissenschaftliche Veranstaltung zu neuen Züchtungsverfahren resultierend aus der Genomeditierung und einer möglichen gesetzlichen Differenzierung der Verfahren. Es ging nicht darum alles kritiklos zu übernehmen und Aspekte der Sicherheit und aus dem Vorsorgeprinzip auszuschließen. Negativ angelastet wurde ihr von Parteimitgliedern und NGOs, dass Genome Editing nicht generell als Gentechnik eingeordnet und Gentechnik in der Landwirtschaft nicht als große Gefahr für Mensch und Umwelt gebrandmarkt wurde.
Für die Landtagsfraktion der Grünen brachte dann ihre Mitzeichnung des ► Debattenpapier “ Neue Zeiten, neue Antworten: Gentechnikrecht zeitgemäß regulieren“ zum neuen Grundsatzprogramm der Partei Bündnis 90/ Die Grünen und die öffentliche Ankündigung des obengenannten Forschungsvorhabens zu Genome Editing mit Freisetzungsversuchen im Webmeeting vom 03. Juli 2020 das Fass zum Überlaufen. Diskussionen und reale Aktivitäten um die grüne Gentechnik sowie zum Genome Editing müssen unbedingt in Baden-Württemberg unterbunden werden! Die Grundprinzipien und fundamentalistische Ansichten der Grünen könnten sonst ins Wanken geraten und außerdem stehen im Frühjahr 2021 Landtagswahlen an. Umwelt- und Imkerverbände dürfen nicht verärgert werden; auf die Wählerschaft ist entsprechend Rücksicht zu nehmen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind hier für die Parteistrategen bedeutungslos!
Ministerpräsident Kretschmann, ein besonnener und erfahrender Politiker, hat mit dem „auf Eis legen“ des Forschungsprogramms einen eleganten und wahrscheinlich am wenigsten Aufsehen erregenden Weg gewählt. Die Rücknahme eines Forschungsprogramms, auch wenn es aus rein partei-strategischen bzw. -politischen Gründen erfolgt, hat keine übergeordnete Bedeutung. Es ist für die breite Öffentlichkeit uninteressant. Es berührt und / oder schränkt die Forschungsfreiheit nicht ein, und Forscher haben kein Anrecht auf die Etablierung besonderer Forschungsprogramme. MP Kretschmann hat aus politischer Sicht einerseits die Landtagsfraktion zusammengehalten und die Partei eine Zerreißprobe vor der Wahl erspart und gleichzeitig auch NGO-Gruppierungen befriedigt. Die Beteiligten können nun mit „auf Eis gelegt“ auf eine Absage des Forschungsprogramms in der geplanten Form und zur gegenwärtigen Zeit verweisen. Anderseits spricht er sich für die Notwendigkeit der Forschung auf diesem Gebiet aus. MP Kretschmann einschließlich der Partei können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler darauf hinweisen, dass „auf Eis gelegt“ nicht gleichbedeutend mit einer Absage des Forschungsprogramms ist. Zu gegebener Zeit könnte das Eis aufgetaut und die entsprechenden Forschungsanträge wieder gestellt werden.
Das „auf Eis legen“ eines Forschungsvorhabens ist einfach nur ein unschönes Ereignis für die Forschungslandschaft Baden-Württemberg. Es ist nur eine innerparteiliche Auseinandersetzung der Grünen im Landtag von Baden-Württemberg und man geht besser zum Tagesgeschäft über! Die Glaubwürdigkeit der Grünen in BW in ihrem Bestreben für eine offene Diskussion und Forschung zu neuen Technologien wird nur marginal berührt (2).
Ob man tatsächlich einfach zum Tagesgeschäft übergehen kann, wird sich zeigen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht nur aus Baden-Württemberg, sondern aus ganz Deutschland, zeigen sich in offenen Briefen betroffen und irritiert. Sie haben erkannt, dass es nicht immer sinnvoll ist gemäß dem Credo „Man soll keinen Streit anfangen, wenn man nicht ganz sicher ist, ihn auch zu gewinnen." von Prof Karl Winnacker zu handeln, sondern dass man nicht für eine SACHE kämpft, bereits verloren hat.
Diese innerparteiliche Aussetzung muss auch vor dem Hintergrund gesehen werden, dass am nächsten Tag (22.07.2020) ein ► Gesetzespaket für mehr Biodiversität beschlossen werden soll .Biodiversität und Gentechnik ist für die Mehrheit der Grünen in BW unvereinbar und man kann sich keine Blöße geben weder nach Innen noch nach Außen. Zusätzlich sollen mit der Gesetzesnovelle die Möglichkeiten für die Erweiterung der ökologischen Landwirtschaft bis zu 40 % in den nächsten 10 Jahren geschaffen und der Reduzierung von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln bis zu 50 % durchgesetzt werden.
Nachvollziehbar warum die Mehrheit der Grünen im Landtag von BW kein Forschungsprogramm zu Genome Editing, der neuen versteckten Gentechnik, nicht haben wollen und wissenschaftliche Erkenntnisse scheuen, die ihre fundamentalistische Einstellung ins Wanken bringen könnten.
(1) red/dpa/lsw: Winfried Kretschmann legt Forschungsprogramm auf Eis
(2) Baden-Württemberg mit höchster Forschungsintensität in EU - Ministerin Bauer: Nicht nachlassen!
ministerin-bauer-nicht-nachlassen/
Ein Leserbrief (deutsch und englisch), der von den Ereignissen überholt wurde, kann
► hier eingesehen werden.
Offene Briefe:
Progressive Agrarwende: Offener Brief zum Forschungsprogramm Genome Editing
https://progressive-agrarwende.org/brief-kretschmann/
Universität Stuttgart-Hohenheim: Forschende von 8 Landesuniversitäten plus 1 Max-Planck-Institut sprechen sich für
Wiederauflage des Genome Editing-Programms aus
https://www.uni-hohenheim.de/uploads/media/20-07-29_Offener_Brief_Forscher_an_Kretschmann_02.pdf
bgf-Jany 30.07.2020