Arbeitsgruppe Tudisco: Ergänzende Ausführungen und Stellungnahmen
Stellungnahme zur Publikation „Genetically modified soybean in a goat diet: Influence on kid performance” von Tudisco et al. (2015)
In der Publikation „Genetically modified soybean in a goat diet: Influence on kid performance” von Tudisco et al. (2015) (1) werden Unterschiede in den IgG-Gehalten von Kolostralmilch (Biestmilch), Serum sowie in den Schlachtgewichten der Ziegenlämmer nach Fütterung von gv-Soja (MON 40-3-2) im Vergleich zur Kontrolle aufgezeigt.
Studiendesign: Für die Untersuchung wurden ca. 60 Tage vor dem Ablammen Muttertiere nach einer nicht genauer spezifizierten Auswahl aus einer Herde separiert und in vier Gruppen zu je 10 Tiere separat gehalten. Zwei Gruppen dienten als Kontrolle, die zusätzlich zur Heufütterung 13 % bzw. 20 % eines konventionellen Sojamehls, jeweils Dosen von 200, 300, 400 g/Tier erhielten. Die Dosen wurden bis zum Ablammen (60, 30, 15 Tage) gesteigert. Die beiden anderen Gruppen (Testgruppen / treated groups) wurden bis zur Geburt der Nachkommen mit Sojamehl (13 % bzw. 20 %) aus gv-Soja (MON 40-3-2) in entsprechenden Dosen gefüttert. Nach dem Ablammen erhielten die Tiere aus beiden Gruppen jeweils 700 g Sojamehl/Tier und Tag und von der Heufütterung wurde auf Luzerneheu umgestellt. Von den Würfen in den einzelnen Gruppen, meist Zwillingsgeburten, wurden jeweils 10 (ausschließlich Bocklämmer) ausgewählt und sofort von den Muttertieren getrennt. Die Nachkommen wurden mit Kolostralmilch bzw. Milch der entsprechenden Muttertieren bis zur Schlachtung 60 ± 7 Tage über einen Milchautomaten (2 mal 50 ml/kg BW) ernährt.
Ergebnisse:
Die Geburtsgewichte der Bocklämmer unterscheiden sich in den Kontroll- und in den Testgruppen nicht und sind unabhängig von der Menge des eingesetzten Sojamehls.
Die Schlachtgewichte sind bei den mit Kolostral- bzw. Milch ernährten Lämmern von gv-Sojamehl gefütterten Muttertieren niedriger als die aus der Kontrollgruppe. Eine Dosisabhängigkeit der Schlachtgewichte ist nicht feststellbar. In den Körpermaßen unterscheiden sich die Lämmer in Bezug auf Widerristhöhe und Brustumfang geringfügig, während bei den Gewichten der Organe keine Unterschiede auftreten.
Der Fett- und Proteingehalt in der Kolostralmilch von mit konventionellem Sojamehl gefütterten Muttertieren ist signifikant höher als der bei den mit gv-Sojamehl gefütterten. Nach 15 Tagen bestehen in den Fett- und Proteingehalten der Milch beider Gruppen keine Unterschiede mehr.
Die IgG-Gehalte (Titer) in der Kolostralmilch und im Serum von Nachkommen der von mit konventionell gefütterten Muttertieren sind höher als bei den mit gv-Sojamehl gefütterten.
DNA-Fragmente aus konventionellen und gv-Soja werden in der Kolostralmilch mittels Polymerasenkettenreaktion (PCR) detektiert.
Anmerkungen: Die Arbeit von Tudisco et al. (2015) (1) weist eine Reihe von gravierenderen methodischer Mängel auf, die eine Bewertung der Daten und Rückschlüsse auf die Entwicklung der Bocklämmer nicht erlauben. Aussagen zum Gefährdungspotential von gv-Soja in der Fütterung von Ziegen und den daraus folgenden Einflüsse auf die Entwicklung der Nachkommen sind wissenschaftlich nicht begründbar abzuleiten.
In der vorliegenden Arbeit, wie auch schon bei den früheren Untersuchungen (2,3 4,) aus der Arbeitsgruppe von Tudisco, wurden keine stofflichen Angaben zu den verwendeten Sojamehlen gemacht. Das für die Kontrollgruppe verwendete Sojamehl stammt aus einer nicht weiter spezifizierten, konventionellen Sojabohnenvarietät. Es kann davon ausgegangen werden, dass diese Sojabohnenvarietät nicht die isogene Linie zur gv-Sojabohne darstellt. Vergleichende Angaben zu den Inhaltsstoffen, Makro- wie Mikronährstoffen, fehlen vollständig. Ebenso wurden keine Angaben zu den Anbaubedingungen der beiden Ausgangsmaterialien für das verwendete Sojamehl oder über mögliche Gehalte an Phytoestrogenen gemacht. Es ist unbekannt, inwiefern beide Sojamehle hinsichtlich ihrer ernährungsphysiologischen Wertigkeit vergleichbar sind. Die beobachteten geringfügigen Effekte könnten sich somit bereits aus Unterschieden in den Inhaltsstoffen der beiden Sojamehle ergeben, die hier unabhängig von der gentechnischen Veränderung sind. Über die Entwicklung der Muttertiere während der letzten Wochen der Schwangerschaft wurden keine Angaben gemacht. Die einzige Aussage ist, dass sich die Geburtsgewichte (3,7 kg) der Nachkommen in beiden Gruppen nicht signifikant unterscheiden. Offensichtlich hatte die Verfütterung von gv-Sojamehl keinen Einfluss auf die Entwicklung der Muttertiere und die Gewichte ihrer Nachkommen. Gleiches hat die Arbeitsgruppe um Tudisco in einer früheren Arbeit (2), die unter gleichen Versuchsbedingungen durchgeführt wurde, damals berichtet. Anders als in der vorliegenden Untersuchung (12,4 kg versus 10,2 kg) fanden die Autoren jedoch in der Vorgängerstudie keine signifikanten Unterschiede in den Schlachtgewichten bei den Nachkommen in den beiden Gruppen (11,7 kg versus 10,7 kg). Sie führten aus:“ Neither body nor organ weights significantly differed between the groups” (2). Die Datensätze zu den Organgewichten lassen sich allerdings nur bedingt vergleichen, da die Dimensionen (g bzw. kg) in den beiden Publikationen unterschiedlich sind; numerisch sind die Daten nahezu identisch. Bei den Organgewichten lassen sich in der neuen Studie ebenfalls keine signifikante Unterschiede erkennen. Im Körperbau treten lediglich bei der Widerristhöhe und im Brustumfang geringfügige Unterschiede zwischen den Kontrollgruppen und den Versuchsgruppen auf (Risthöhe 2,6 cm; Brustumfang 1,2 cm).
In die vorliegende Untersuchung wurden nur männliche Nachkommen in den Versuch einbezogen, gerade aber bei einer sojabetonten Ernährung hätten aus wissenschaftlichen Gründen auch die weiblichen Nachkommen berücksichtigt werden müssen.
Die unmittelbare Trennung der Nachkommen (hier eine Stunde) vom Muttertier ist als kritisch anzusehen. Gerade nach dem unmittelbaren Absetzen leiden Lämmer häufig trotz hinreichender Kolostralmilchversorgung an einer allgemeinen Schwäche. Sie trinken weniger oder gar nicht. In der vorliegenden Arbeit wurde nicht angegeben, wie lange die Bocklämmer in den einzelnen Gruppen mit Kolostralmilch ernährt wurden, wieviel Kolostralmilch/Tier aufgenommen wurde und wie die Gewichtsentwicklung in den ersten Tagen war. Dieser Mangel erlaubt keine Bewertung der Gewichtsentwicklung der Bocklämmer während der ersten kritischen Tage. Aussagen hierzu sind rein spekulativ und/oder entbehren einer wissenschaftlichen Grundlage. Ähnliches gilt für die weitere Versorgung der Bocklämmer mit Muttermilch über die weiteren Tage. Es fehlen Angaben über die Milchaufnahme und Gewichtsentwicklung/pro Lamm. Ebenso wurden keine Angaben über die Fett- und Proteingehalte der Kolostralmilch während der ersten Lactationsphase gemacht. In der Kolostralmilch von gv-Sojamehl gefütterten Muttertieren liegt der Fettgehalt innerhalb der historisch beobachteten Werten, eine signifikante Erniedrigung liegt nicht vor (5,6). Aus toxikologischer Sicht ist auffällig, dass nach gv-Sojamehlfütterungen keinerlei Dosis abhängige Effekte auftreten. Hieraus stellt sich bereits die Frage, ob die beobachteten Effekte sich tatsächlich auf das gv-Material zurückführen lassen, oder generelle, allgemeine Haltungs- und Fütterungsbedingungen dafür verantwortlich sind.
Die IgG-Titer in der Kolostralmilch stellen bei beiden Gruppen eine Momentaufnahme von einer Stunde nach dem Ablammen der Muttertiere dar. Bei den gv-gefütterten Muttertieren ist der IgG-Gehalt geringer als bei der Kontrollgruppe, jedoch ist wiederum keine Dosisabhängigkeit erkennbar. Allerdings verändern sich bekanntermaßen die IgG-Titer, ebenso wie die Fett- und Proteingehalte im Laufe der frühen Lactationsperiode in der Kolostralmilch. Hier hätten zumindest nach 6-8 Stunden und nach einem Tag die Daten in beiden Gruppen (Kontroll- und Testgruppe) erfasst werden müssen. Kolostralmilch ist für die Entwicklung der Nachkommen von großer Bedeutung, aber auf Grund der fehlenden Angaben lassen sich keine Aussagen zum Einfluss von gv-Sojamehl auf die Entwicklung der Bocklämmer machen.
Bei Analyse der Zahlenangaben in den einzelnen Tabellen und im Vergleich zu historisch beobachten Werten liegt der Schluss nahe, dass zwar die einzelnen Werte jeweils bezüglich der Mathematik statistisch signifikante Unterschiede aufweisen, aber hinsichtlich ihrer biologischen Relevanz keinerlei Unterschiede begründen.
Der Nachweis und/oder temporäre Verbleib von DNA-Fragmenten, gleichgültig ob sie aus konventionellen oder gentechnisch veränderten Pflanzen stammen, stellt nichts Neues dar. Der Übergang von kleinen DNA-Fragmenten aus Futter- oder Nahrungsmitteln über den Darmtrakt in Blut und in Gewebe höherer Tiere wurde bereits öfters beschrieben (7,8,9,10,11,12) und dieser Vorgang kann als ein natürlicher Prozess in der Verdauungs- und Ernährungsphysiologie angesehen werden. Bereits in vorangegangen Veröffentlichungen (2,3,4) hat die Arbeitsgruppe um Tudisco den Übergang von Spuren von DNA-Fragmenten aus konventionell und/oder gv-Sojamehl in Muttermilch und Geweben mittels PCR-Analysen nachgewiesen. So ist es nicht verwunderlich, dass sie diese Fragmente auch in der Kolostralmilch nachweisen können; alles andere wäre wissenschaftlich nicht erklärbar. Die Reproduktionsqualität der Abbildungen der PCR-Ergebnisse ist darüber hinaus aber mangelhaft und ihre Interpretation ist in Teilen schwierig. Der Spurennachweis des DNA-Fragments des CP4-EPSPS Gens ist zweifelhaft, da die Wanderung des Fragments aus den Versuchsgruppen im Gel geringer ist als die der Positivkontrolle. Zur Verifizierung der Identitäten der Fragmente wäre eine Sequenzierung notwendig gewesen. Auffällig ist, dass die Abbildungen 1 und 3 aus den Publikationen 2015 (2) und 2010 (3) augenscheinlich identisch sind, lediglich die Beschriftung wurde angepasst.
Auf mögliche Risiken des Übergangs und des temporären Verbleibs von DNA-Fragmenten in Milch oder Gewebe von Tieren soll hier nicht eingegangen werden, dies erfolgte bereits ausführlich im Rahmen der Stellungnahme der BfR-Kommission für genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel zum Gentransfer aus Futterpflanzen auf höhere Tiere (11). Festzuhalten ist, dass der Übergang von DNA-Fragmenten aus Futter- und Nahrungsmitteln nach Verdauung im Magen-Darmtrakt ein natürlicher Vorgang ist und der temporäre Verbleib von kleinen DNA-Fragmenten aus gentechnisch eingeführten Genen a priori nicht mit höheren Risiken verbunden ist, als von DNA-Hydrolyseprodukten aus konventionellen Quellen.
Schlussfolgerung:
Die Arbeit von Tudisco et al. (2015) (2) bringt keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse. Aufgrund ihrer erheblichen methodischen Mängel ist sie nicht geeignet, substantielle Aussagen zur Entwicklung von Bocklämmern zu machen, die mit Kolostralmilch (Bistmilch) / Milch ernährt wurden, die von mit gv-Soja ernährten Muttertieren stammt.
Referenzen:
Tudisco, R.; Calabro`,S.; Cutrignelli, M.I.; Mopniello, G.; Grossi, M., Mastellone, V.; Lombardi, B.; Pero, M.; Infascelli, F. (2015): Genetically modified soybean in a goat diet: Influence on kid performance. Small Ruminant Research, http://dx.doi.org/10.1016/j.smallrumies.2015.01.023
Tudisco, R.; Mastellone, V.; Cutrignelli, M.I.; Lombardi, B.; Bovera, F.; Mirabella,N.; Piccolo G.; Calabro`,S.; Avallone, L.; Infascelli, F. (2010): Fate of transgenic DNA and ealuation of metabolic effects in goats fed genetically modified soybean and in their offsprings. Animal 4, 1662-1671, doi:10.1017/S1751731110000728
Tudisco, R.; Cutrignelli, M.I.; Calabro`,S.; Cuglielmelli, A.; Infascelli, F. (2007): Investigation on genetically modified soybean (RoundUp Ready) in goat nutrition: DNA detection in suckling kids. ITAL.J.ANIM.SCI. VOL. 6 (SUPPL. 1), 380-382
Tudisco, R., Lombard, P., Bovera, F., D’Angelo, D., Cutrignelli, M.I., Mastellone, V., Terzi, V., Avallone, L., Infascelli, F. (2006) Genetically modified soybean in rabbit feeding: detection of DNA fragments and evaluation of metabolic effects by enzymatic analysis. Animal Science 82: 193-199
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Hier eine Präsentation zu Tudisco_01 und die englisch-sprachige Version der Stellungnahme.