Kennzeichnung "Ohne Gentechnik" noch möglich?

EuGH-Urteil "Mutagenese": Konsequenzen für die Kennzeichnung „Ohne Gentechnik“?

In seinem Urteil vom 25.07.2018 (Rs. C-528/16) stellt der Europäische Gerichtshof (EuGH) eindeutig klar, dass alle von Menschenhand durchgeführten Mutageneseverfahren
a) nach Art. 2 und Anhang 1A, Teil 1 der Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EC gentechnische Verfahren darstellen und
b) die daraus resultierenden Organismen als gentechnisch veränderte Organismen (GVO) anzusehen sind.
Dies bedeutet, dass
a) Organismen, die mit vor 2001 angewandten Mutageneseverfahren (z.B. Behandlung mit mutagenen Chemikalien oder ionisierenden Strahlen) erzeugt wurden, zwar GVO im Sinne der Freisetzungsrichtlinie sind, aber nicht ihren Verpflichtungen unterliegen.
b) Organismen, die mit Hilfe von nach 2001 mit neuen, bislang nicht angewandten Mutageneseverfahren (Genomeditiierung CRISPR/Cas, TALEN usw.)generiert wurden, GVO sind und allen Verpflichtungen aus der Freisetzungsrichtlinie unterliegen.

Wenn die „alten“ Mutageneseverfahren auch als Gentechnik gelten und die so erzeugten Organismen GVO sind, stellt sich natürlich die Frage, ob die gesetzlich legitimierte und politisch gewollte Verbrauchertäuschung mit der Kennzeichnung „ohne Gentechnik“ nach deutschem Recht noch zulässig ist. Nahezu alle heute in der Lebensmittelproduktion verwendeten Mikroorganismen sind durch "alte"klassische Mutagenesevefahren in ihren Eigenschaften veränderten worden. Ebenso sind zahlreiche heute verwendete und weitergezüchtete Pflanzensorten durch solche Mutageneseverfahren (ionisierende Strahlen oder chemische Mutagene) entstanden.
 

Weizen, Gerste Reis, Hafer, Raps, Soja, Kichererbse,
Erdnüsse, Bohnen und viele Obst- und Gemüsesorten.

Über 3200 Sorten in etwa 210 Arten sind bisher registriert worden.

                    Nun alles Gentechnik ?      "Ja"

Sind klassisch mutagenisierten Organismen ohne Gentechnik im Sinne des deutschen Gentechnikgesetzes?

Für diese Analyse werden die Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EC, die Verordnungen (EG) Nr. 1829/2003, 1830/2003, das deutsche Regelwerk EGGenTDurchfG, die Informationsverordnung (EU) Nr. 1169/2011 sowie hilfsweise die Basisverordnung (EC) Nr. 178/2002 herangezogen.

Freisetzngsrichtlinie 2001/18/EC
Aus der Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EC ist nicht eindeutig ersichtlich, ob die angewandten Mutageneseverfahren zu GVO führen. In der Richtlinie werden sie in Art. 3 Abs.1 und mit Annex 1B, Nr. 1 werden so erzeugte Organismen lediglich vom Anwendungsbereich ausgeschlossen. Dieser Sachverhalt ist bereits in der ursprünglichen Freisetzungsrichtlinie von 1990 verankert und somit seit 1990 Teil der Gentechnikgesetzgebung. Gleiches gilt für Annex 1B, Nr. 1. Hierbei muss allerdings beachtet werden, dass Annex 1B, Nr. 1 nur für die bis dahin bekannten Mutageneseverfahren gilt (1990).

Der EuGH stellt nun aber in seinem Grundsatzurteil unmissverständlich fest, dass alle Mutageneseverfahren zu GVO im Sinne der Freisetzungsrichtline führen. Der EuGH differenziert jetzt aber zeitgemäß zwischen den „alten“ traditionell angewandten Mutageneseverfahren und den neuen Verfahren zu Veränderungen der genetischen Information (im Weiteren Genomeditierung), die bislang noch nicht im großen Umfang angewandt wurden und über deren Auswirkungen auf Mensch und Umwelt noch keine hinreichenden Informationen vorliegen. Der EuGH stellt klar, dass es Wille des Gesetzgebers ist (war), im Zusammenhang mit Annex 1B, Nr. 1 lediglich die Organismen von den Verpflichtungen aus der GVO-Gesetzgebung heraus zunehmen, die mit den „alten“ klassischen Mutageneseverfahren erzeugt wurden, jedoch solche, die mit den „neuen“ Verfahren der Genomeditierung generiert wurden, voll umfänglich den Verpflichtungen aus der GVO-Gesetzgebung zu unterwerfen. Dies bedeutet, dass die Organismen, die mit den „alten“ herkömmlichen Mutageneseverfahren generiert wurden, zwar GVO im Sinne der Freisetzungsrichtlinie darstellen, aber sie müssen weder sicherheitsbewertet, rückverfolgt noch gekennzeichnet werden. Diese Organismen und daraus gewonnene Lebensmittel werden wie traditionelle (konventionelle) Erzeugnisse betrachtet. Selbstverständlich unterliegen sie aber den Verpflichtungen aus der Basis- und Informationsverordnung.

Neu im EuGH-Urteil vom 25.07.2018 ist, dass den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit einräumt wird, die Organismen, die durch Annex 1B von den Verpflichtungen der GVO-Gesetzgebung ausgenommen sind, eigenständig national zu regulieren.
Verordnungen (EC) Nr. 1829/2003 und 1830/2003
Die Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EC bezieht sich auf das absichtliche Freisetzen und das Inverkehrbringen von GVO und somit auf lebende GVO. Für Lebensmittel- und Futtermittel müssen die Verordnungen 1829/2003 (Zulassung, Inverkehrbringen und Kennzeichnung) und 1830/2003 (Rückverfolgbarkeit) herangezogen werden.

Der Geltungsbereich (Zulassung und Überwachung; Lebensmittel, Art. 3; Futtermittel, Art. 15) der Verordnung 1829/2003 umfasst
  ●   GVO, die als Lebens- oder Futtermittel verwendet werden sollen,
  ●  Lebens- und Futtermittel, die GVO enthalten oder aus solchen bestehen,
  ●  Lebens- und Futtermittel, die aus GVO hergestellt oder Zutaten aus GVO enthalten.

Keine Anwendung findet die Verordnung auf Produkte, die mithilfe von GVO hergestellt wurden.

Der Kennzeichnungsverpflichtungen werden in Art. 12 (Lebensmittel) und Art. 24 (Futtermittel) geregelt und gelten für Erzeugnisse, die
    ●   GVO enthalten oder daraus bestehen oder
    ●   aus GVO hergestellt werden oder Zutaten enthalten, die aus GVO enthalten. 

Für die Definition (Begriffsbestimmungen) eines GVOs bezieht sich Verordnung 1829/2003 in Artikel 2, Abs. 5 auf die Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EC.
„GVO“ einen genetisch veränderten Organismus im Sinne von Artikel 2 Nummer 2 der Richtlinie 2001/18/EG, mit Ausnahme von Organismen,
bei denen eine genetische Veränderung durch den Einsatz der in Anhang 1B der Richtlinie 2001/18/EG aufgeführten Verfahren herbei geführt wurde,“

Der EuGH hat aus Gründen der Rechtskonformität in Hinblick auf die Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EC die Gültigkeit von Artikel 2, Abs. 5. nicht verneint bzw. zugelassen. Art 2, Abs. 5 muss entsprechend dem EuGH-Urteil C-528/16 interpretiert werden. Dies bedeutet wieder, dass  die Organismen, die mithilfe der „alten“ klassischen Mutageneseverfahren erzeugt wurden, nicht den Verpflichtungen aus der Verordnung (EC) Nr. 1829/2003 unterliegen. Somit bedürfen diese Organismen und aus ihnen gewonnene Erzeugnisse
             ●  keiner gv-spezifische Sicherheitsbewertung,
             ●  keine gv-spezifische Zulassung für ihr Inverkehrbringen,
             ●  keiner gv-spezifische Rückverfolgbarkeit und
             ●  keiner gv-spezifische Kennzeichnung.

Mit dem EuGH-Urteil hat sich die Rechtslage hinsichtlich der Definition eines GVOs nicht geändert. Ebenso hat es die Ausnahmeregelung in Annex 1B, Nr. 1 nicht berührt bzw. verändert. Das EuGH-Urteil hat nur eine Konkretisierung in Annex 1B, Nr. 1 in der Einordnung von Organismen, die durch Mutageneseverfahren gewonnen wurden, herbeigeführt, indem es die Unterscheidung zwischen Organismen, die mithilfe der „alten“ klassischen Verfahren und denen, die mit den neuen Verfahren der Genomeditierung gewonnen wurden.
EGGenTDurchfG - Deutsches Gentechnikrecht
Der EuGH hat sich nicht dazu geäußert - da nicht danach gefragt -, ob die Organismen, die mit den „alten“ klassischen Verfahren erzeugt wurden, „frei von Gentechnik“ im Sinne von Verbrauchererwartungen sind.

Das EGGenTDurchfG ist zwar ein eigenständiges nationales Gesetz, aber es steht in engem Bezug zu der Freisetzungsrichtung 2001/18/EC und den Verordnungen (EC) Nr. 1829/ 2003 und Nr. 1830/30 und baut auf ihnen auf. Hierbei sind im EGGenTDurchfG Paragraph 3a, Abs. 2-4 und, teilweise auch § 3b (Nachweise der „Gentechnikfreiheit“) ausschlaggebend.
§ 3a, Abs. 2-4:
Abs. 2: Es dürfen keine Lebensmittel und Lebensmittelzutaten verwendet werden, die nach
1. Artikel 12 und 13 der Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 oder
2. Artikel 4 oder 5 der Verordnung (EG) Nr. 1830/2003 gekennzeichnet sind oder, soweit sie in den Verkehr gebracht würden, zu kennzeichnen wären.
Abs. 3: Es dürfen keine Lebensmittel und Lebensmittelzutaten verwendet werden, die in den Anwendungsbereich der
Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 fallen, aber nach Artikel 12 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 oder Artikel 4 Abs. 7  oder 8 oder Artikel 5 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1830/2003 von den Kennzeichnungsvorschriften ausgenommen sind.
Abs. 4: Im Falle eines Lebensmittels oder einer Lebensmittelzutat tierischer Herkunft darf dem Tier, von dem das Lebensmittel
gewonnen worden ist, kein Futtermittel verabreicht worden sein, das nach 1. Artikel 24 und 25 der Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 oder 2. Artikel 4 oder 5 der Verordnung (EG) Nr. 1830/2003 gekennzeichnet ist oder, soweit es in den Verkehr gebracht würde, zu kennzeichnen wäre. Für den Zeitraum vor Gewinnung des Lebensmittels, innerhalb dessen eine Verfütterung von genetisch veränderten Futtermitteln unzulässig ist, gelten für die in der Anlage genannten Tierarten die dort geregelten Anforderungen.

Der Bezug zu den oben genannten Verordnungen ist offensichtlich. Das EGGenTDurchfG definiert nicht eigenständig den Begriff „GVO“. Aber aus dem engen Bezug zu den oben genannten Verordnungen muss geschlossen werden, dass im EGGenTDurchfG die Definition eines GVO mit der in den europäischen Gesetzen als identisch anzusehen ist. Wäre dies nicht der Fall, so könnte kein Bezug zu den Artikeln 12 und 13 der Verordnung (EG) Nr. 1829/2003 oder Artikeln 4 oder 5 der Verordnung (EG) Nr. 1830/2003 hergestellt werden. § 3a, Abs. 2-4 des EGGenTDurchfG bezieht sich auf die Kennzeichnungspflicht entsprechend den EU-Verordnungen. Nach dem EuGH-Urteil sind zwar Organismen, die mit „alten“ klassischen Mutageneseverfahren erzeugt wurden GVO, aber sie unterliegen nicht den Verpflichtungen aus der GVO-Gesetzgebung. Insbesondere in Bezug auf das EGGenTDurchfG ist dies bedeutsam, denn diese Organismen und daraus gewonnene Erzeugnisse müssen nicht gekennzeichnet werden. Diese Organismen fallen somit nicht in den Geltungsbereich des EGGenTDurchfG.
Fazit 1 -Genrechtliche Seite
Das EuGH-Urteil steht somit von der gentechnik-rechtlichen Seite einer Auslobung „ohne Gentechnik“ nicht entgegen und ist weiterhin zulässig. Das EuGH-Urteil hat keinen Einfluss auf den Geltungsbereich des EGGenTDurchfG (Art. 3a, Abs. 2-4). Aus dem EuGH-Urteil ergibt sich lediglich, dass keine Erzeugnisse aus genomeditierten Organismen oberhalb der Schwellenwertregelung als „ohne Gentechnik“ ausgelobt werden dürfen.
Informationsverordnung (EU) Nr. 1169/2011
Allerdings muss jetzt mit Blick auf das EuGH-Urteil für die Auslobung „ohne Gentechnik“ auch die Informationsverordnung (EU) Nr. 1169/2011 beachtet werden, die in Art 7. Abs. 1. Verbraucher vor einer Irreführung und Täuschung über die Beschaffenheit eines Lebensmittels schützen will.
Artikel 7: Lauterkeit der Informationspraxis
(1) Informationen über Lebensmittel dürfen nicht irreführend sein, insbesondere
 a) in Bezug auf die Eigenschaften des Lebensmittels, insbesondere in Bezug auf Art, Identität, Eigenschaften, Zusammensetzung, Menge, Haltbarkeit,
    Ursprungsland oder Herkunftsort und Methode der Herstellung oder Erzeugung;
b) indem dem Lebensmittel Wirkungen oder Eigenschaften zugeschrieben werden, die es nicht besitzt;
c) indem zu verstehen gegeben wird, dass sich das Lebensmittel durch besondere Merkmale auszeichnet, obwohl alle vergleichbaren Lebensmittel
   dieselben Merkmale aufweisen, insbesondere durch besondere Hervorhebung des Vorhandenseins oder Nicht-Vorhandenseins bestimmter Zutaten
   und/oder Nährstoffe;
d) indem durch das Aussehen, die Bezeichnung oder bildliche Darstellungen das Vorhandensein eines bestimmten Lebensmittels oder einer Zutat
    suggeriert wird, obwohl tatsächlich in dem Lebensmittel ein von Natur aus vorhandener Bestandteil oder eine normalerweise in diesem Lebensmittel
   verwendete Zutat durch einen anderen Bestandteil oder eine andere Zutat ersetzt wurde.
Für freiwillige Auslobungen (§32) wird auf die Bestimmungen in §7 verwiesen. Eine Werbung mit Selbstverständlichkeiten soll ausgeschlossen werden.

Unter dem Sachverhalt, dass auch Organismen, die mit „ alten“ traditionellen Mutageneseverfahren erzeugt wurden, nun auch als GVO gelten und damit daraus gewonnene Erzeugnisse als gentechnisch verändert anzusehen sind, kann nach Art. 7. Abs. 1a  durchaus eine Verbrauchertäuschung abgeleitet werden. Dies ist auch vor dem Hintergrund zusehen, dass die europäische Gesetzgebung (hier die Informationsverordnung) das nationale Gesetz (hier das EGGenTDurchfG) aufhebt, wenn es nicht mit diesem Übereinstimmung steht. In wie weit die mit dem EGGenTDurchfG legitimierte Irreführung bzw. die gesetzlich autorisierte Verbrauchertäuschung weiterhin Bestand hat, bleibt zu klären (siehe Kahrman und Leggewie (2018) sowie Voit und Grube (2016)).

Referenzen:
Kahrmann J. und Leggewie G.: (2018): Gentechnikrechtliches Grundsatzurteil des EuGH und die Folgefragen für das deutsche Recht. NuR (2018) 40 (11):
761–765 761, https://doi.org/ 10.1007/s10357-018-3429-8
Voigt, W. & Grube, M. (2016): Lebensmittelinformationsverordnung –Kommentar, 170-172.Art. 7 Rn 139-141; C.H.Beck Verlag, ISBN978 3 406 64741 3
VLOG – GGSC - Anwaltliche Stellungnahme: EuGH-Urteil zur Mutagenese: Auswirkungen auf die Kennzeichnung “Ohne Gentechnik“
EuGH-Urteil:
Richtline 2001/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. März 2001 ü̧ber die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt und zur Aufhebung der Richtlinie 90/220/EWG des Rates. ABl L L 106, 1-39; 17.4.2001
https://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:303dd4fa-07a8-4d20-86a8-0baaf0518d22.0002.02/DOC_1&format=PDF
Verordnung (EC) Nr. 1829/2003: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32003R1829&from=en


Der Text stammt teilweise aus einer Stellungnahme vom 11.11.2018 von Jany für ein Einzelhandelsunternehmen. Die Ausführungen stellen keine anwaltliche Stellungnahme dar. Sie sind eine wissenschaftliche Analyse der bestehenden Rechtslage.

26.11.2018 bg-Jany

Share by: